Freitag, 16. September 2016

Vom Umgang mit Menschen

Verstohlene Blicke machen die Runde, wandern scheinbar ziellos durch den Raum, streifen andere verstohlene Blicke und bleiben dann kollektiv an einem imaginären Punkt weit hinter den Fenstern hängen. Ein leises Räuspern, ein Hüsteln und vielleicht fällt an der anderen Ecke des Tisches zwischen Zweien ein leises Wort. Aber niemand reagiert auf die eben gesagten Worte, kein Nachfragen, kein Antworten ... nichts. 

Die Herde schweigt. 

Scheinbar unbeeindruckt hiervon redet sie weiter, breitet ihre Lebensgeschichten aus, manchmal peinlich, manchmal platt, nur selten ansatzweise interessant. Begegnungen in der Küche oder auf dem Flur werden vermieden, Gespräche nicht gesucht und Anfragen übergangen.

Die Herde lästert. 

Hinter ihrem Rücken nur und leise, aber kontinuierlich und stetig anschwellend. Die Haare, die Sachen, zu laut, zu direkt, zu peinlich ... die Liste wäre endlos.

Und das kleine Schaf in der Herde läuft mit. Nicht fähig und vermutlich auch nicht willens, gegen das kollektive Blöken der Herde anzukommen. Will nicht herausfallen, ist sich dessen noch nicht mal bewusst und blökt mit.

Und dann steht sie auf einmal vor mir und weint. All den Schmerz und all die Scham sehe ich, die Verzweiflung, den Druck, der auf ihr lastet und die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation. Ich bin mir sicher, dass sie unser Verhalten bemerkt hat und darunter leidet, aber sie negiert es und schiebt es auf ihr - tatsächlich miserables - Arbeitsumfeld. Sie will kündigen. Obwohl dies (in arbeitsrechtlicher Hinsicht) nichts mit mir zu tun hat, fühlt es sich trotzdem wie eine Ohrfeige an. Ich fühle mich verantwortlich, hätte einschreiten, hätte vermitteln, hätte klären sollen, als es noch etwas zu klären gab.

Jetzt blieb mir nur, sie zu unterstützen und ihr Mut zu machen. "Mich will doch keiner mehr, ich bin zu alt!" Ich gab mir alle Mühe und sie fand bald darauf tatsächlich einen Job, der ihr gefiel und den sie nun antreten wird.

Die Herde weiß das noch nicht, aber ich sehe schon das Blöken vor Freude, wenn sie geht und höre schon das Lästern, das ihr nachziehen wird. Ich werde schweigend dabei stehen und mich schuldig fühlen. Da das Schaf in der Herde nicht interveniert, um nicht aus der Herde verstoßen zu werden, wird das Schaf eben schweigen.

Und nun sitze ich hier und denke darüber nach, wie das alles hatte passieren können und warum ich nicht in der Lage gewesen bin, einzuschreiten; ob bei der Herde oder bei ihr. 

Ich denke, das hat letztlich zwei Gründe. Der eine ist mir im Rahmen unseres letzten Seminars zur Kommunikation sehr eindrücklich aufgegangen: mein Antreiber heißt: "sei gefällig". Und das ist tatsächlich so. Der Chef-Psycho sagt (zurecht), dass man die Summe seiner Erziehung und vor allem seiner Erlebnisse und Erfahrungen in Kindheit und Jugend ist. Dem kann ich nur zustimmen. Stets die Beste im Sport und immer vorn dabei, hatte ich doch immer um Anerkennung und Herdenaufnahme kämpfen müssen, da ich schlicht nicht gutaussehend war/bin - und dies ist in unseren und vermutlich allen vorhergehenden Zeiten nunmal das Kriterium Nummer 1 zur Beliebtheit und Beachtung. Zur Eigenständigkeit, zum selbstsicheren Auftreten und zum strebsamen Lernen erzogen, passte dies aber einfach nie zusammen. Ich schlich in die Herde und tat alles, um dort bleiben zu dürfen. Ich zog Aufgaben und Probleme an mich, um nach deren Lösung Anerkennung zu bekommen, von der ich meinte, dass ich sie sonst nicht bekommen würde. Aber ich war nie in der Lage, eine tatsächliche Leitung zu übernehmen, die die Herde auch einmal zurecht wies, wenn das Blöken Überhand nahm. Ob ich dazu jemals in der Lage sein werde, weiß ich nicht.

Zum anderen ist es - und irgendwie greifen beide Gründe seltsam ineinander - die Lust am Lästern. Auf eigentümliche Weise hat das Lästern das soziale Miteinander in der Herde gestärkt, hatte man stets das Gefühl, dass sich der Zusammenhalt in der Gruppe eher verfestigte als lockerte, wenn wieder einmal ausgiebig getratscht wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob hier eigene Unzulänglichkeiten überwunden werden oder ob einfach gemeinsame "Feindbilder" die Zusammengehörigkeit implizieren. Die Herde steht zusammen.

Und ich bin drin. Und schweige.






























Montag, 12. September 2016

Leben

... ja, sag ich doch!!



copyright: Institut für Verhaltensökonomie Leipzig; Inh.: Prof. Dr. Stephan Buchhester

Donnerstag, 8. September 2016

Manchmal

Manchmal ist es nicht leicht.

Da fühlt man sich leer und müde, traurig und klein und möchte lieber im Schrank sitzen und heulen. Stattdessen setzt man das unbeschwerte Gesicht auf und lacht, wenn man nicht allein ist. Tut so, als ob die Welt aus Sonnenschein besteht und Probleme ein Fremdwort sind. Keiner sieht, wie es einem wirklich geht. Keiner fragt.

Es ist kräftezehrend, diese Maske zu tragen. Auch wenn man sich einsam und traurig fühlt, stets und ständig einen flotten Spruch auf den Lippen zu haben und niemals eine schwermütige Verfassung zuzugeben. Warum zwingt man sich selbst in ein solches Korsett? Warum ist man nicht der, der man ist, auch wenn das gerade nicht in das stets überbordend lustige Dasein passt? Obwohl man so gar nicht sein will?

Manchmal ist es nicht leicht.