Sonntag, 5. Oktober 2014

Die Lebensuhr

Es gibt Tage im Leben, die sind - gefühlt - lebenswerter, als andere. Und da meine ich nicht solche, die im Grau des Arbeitsalltags, des Terminsdrucks, des ewig pingenden Handys, der Hetzerei und nörgelnden Mandanten untergehen und einem einmal mehr vor Augen führen, dass einem wieder Zeit für die Familie und mich selbst durch die Finger rinnt, wie der weiße Sand im lange vergangenen Sommerurlaub.

Ich meine die Tage, an denen mir bewusst wird, dass ich noch lebe. Tage, an denen ich mich an liebe Menschen erinnere, die nicht mehr hier sind. Die mir wichtig in meinem Leben waren und die viel zu früh gegangen sind. Deren Lachen mir fehlt. Die mir fehlen. Kurze Sequenzen vergangener Begegnungen fallen mir ein und lassen mich lächeln. Und traurig werden, im Angesicht der Tatsache, dass diese Dinge nie wieder geschehen werden. Sie machen mir bewusst, dass das Leben in Sekundenschnelle vorbei sein könnte.

Wie lang läuft meine Lebensuhr noch? Einen Tag? Einen Monat? 15 Jahre? Will man wissen, wie lange sie noch tickt, die Lebensuhr? Würden Sie es wissen wollen?

So schwierig und schwer diese Gedanken sein können, so wichtig sind sie doch in meinem Leben. Sie machen mir bewusst, dass ich lebe. Sie lassen mich in diesen Momenten den Himmel blauer wahrnehmen, die Sonne heller und das Lachen meines Kindes strahlender. Sie intensivieren auf seltsame Weise das Empfinden des Hier und Jetzt und machen diese Momente damit zu etwas Besonderem. 

In solchen Momenten ist das Leben lebenswerter.

In liebevoller Erinnerung


Freitag, 3. Oktober 2014

Säggssch for ju

Ich liebe ja meine sächsische Heimat. Als ich noch jung-zugereiste Studentin war und mit meinem dreckigen Berliner Akzent allzu arg auffiel, saß ich eines Morgens in der rumpel-pumpligen Straßenbahn und verfluchte mich zum weiß-ich-wievielten-Male, dass ich an diesem grauen Novembermorgen tatsächlich so doof gewesen war, das warme Bett im zugigen, kakerlakenverseuchten Studentenwohnheim zu verlassen, statt mich nochmal umzudrehen und weiterzuschlafen.

"Cha, da hasde rechd; Räächn wermer griechn!"

Hääää? Ich riss die schlaftrunkenen Augen auf und starrte die beiden älteren Damen an, die mir gegenüber in ihre unvermeidlich grau-brauen Mikrofaserjacken gehüllt waren. Ich war versucht, die Lockenwickler in ihren Haaren zu suchen, die sie aber geschickterweise unter einem wie-auch-immer Kopftuch versteckt hatten. Die beiden saßen schon geraume Zeit dort und plapperten munter vor sich hin. Ich hatte nicht zugehört - die letzte Studentenwohnheimfeier war erst wenige Stunden vorbei und ich nicht geneigt, mir das Gesülze zweier älterer Damen als Horchangriff reinzuziehen.

Ich verstand kein sächsisch. Das war schlimmer als griechisch-römisch und bayrisch-türkisch. 

Nur hatte ich mir Leipzig als neue Heimat ausgesucht und musste irgendwann mal anfangen, diese komische Sprache zu verstehen. Und das tat ich.


Quelle: schindluder.net

Im Laufe der folgenden - inzwischen 21 Jahre - lernte ich nicht nur die Sprache kennen und irgendwie auch lieben, sondern vor allem die Art, wie wir Leipziger mit diesem Dialekt spielen und ihn teilweise sogar vorsätzlich-ironisch einsetzen, um anderen zu zeigen, dass wir besonders sind. Und dabei ist es mir schnurz-pieps-egal, dass sächsisch angeblich der unbeliebteste deutsche Dialekt sei. Da können die eigentlich nur dieses Genuschel der nativen Bergvölker im Süden des schönsten Freistaates dieser Welt meinen.

Den Leipziger Dialekt zu kennen, zu verstehen und zu lieben, heißt, den Leipziger zu verstehen und zu lieben. Offen, sympathisch und das Herz immer auf der Zunge tragend, ist der Leipziger vor allem eines: gesellig & lustig. Der Leipzscher häld nich de Gusche. Weder so eigenbrödlerisch wie die nativen Bergvölker oder so selbstverliebt wie die Dresdner, nicht so neidisch wie die Chemnitzer und schon gar nicht so dreckig-schwatzend wie die Zwickauer. Einfach zum lieb haben.

So, zurück zum Dialekt. Kostproben gefällig?


Schammbannchorr - sär leggor
Babbiergriech - dämlisch
Gelumbe 
Säschelboad
Guldur - wat?
Modschekiebschn - schnugglisch
Gämiedlichgeed - ursäggssch
Wannsdrammln - Allasch druff un jut


Dangescheen for de Uffmerchsamkeet!