Dienstag, 18. Februar 2014

Beobachtungsposten

Haben Sie schon einmal früh am Morgen bei McDonalds gesessen? Es ist kaum halb neun und ich tue das gerade jetzt. Also nicht JETZT, wo Sie das lesen, sondern an diesem kühlen Dienstagmorgen in einem Winter, der keiner ist.

Bewaffnet mit einem riesigen Kaffee habe ich mir auf dem Weg zu einem Gerichtstermin ein gemütliches Eckchen gesucht und sogar eines mit Sessel gefunden. Ich bin mal wieder heillos zu früh dran.

Ich beobachte. Habe gerade nichts anderes zu tun. Wo kann man auch bessere Studien betreiben als bei McDoof? Die Klientel scheint aus nur zwei großen Strömungen zu bestehen. Das eine sind ganz offenbar Singlemänner zwischen 25 und 35, die in Ermangelung einer Freundin oder Mutter zur frühmorgendlichen Zeit zu blöde sind, sich einen Kaffee zu kochen oder den Toast in dieses elektrische Gerät zu stecken. Das andere sind junge Familien. Okay, es sind Schulferien und da macht man mal was "Besonderes" mit den Kids, auch wenn es sich dabei nur um schlabbrige Brötchen mit künstlichem Rührei darauf handelt. Die Zahl der Familien ist erschreckend hoch. Und das im absoluten Niemandsland zwischen Leipzig und Halle.

Während ich an meinem Kaffee nippe - schlabbriges Weizenbrötchen verbietet sich angesichts meiner Zuckerdiät natürlich - wandert draußen die dritte Bevölkerungsgruppe an dem Laden vorbei ins angeschlossene Einkaufszentrum. Die Rentner. Mein Gott, hält die denn nix in ihren Betten? 



Fast besitzergreifend haben sie den Einkaufswagen vor ihren gleichaltrigen Verfolgern ergattert und schieben ihn jetzt triumphierend zum Eingang. Dabei schweifen ihre Blicke tatsächlich zu McDoof rüber und ich kann es durch die Fensterscheibe geradezu riechen: "Schau mal, Berthold. Diese vermaledeite Jugend kann nicht mal mehr Frühstück machen und lungert schon morgens hier rum." "Ja, Erna. Unser trockenes Marmeladenbrot mit dem dünnen Kaffee war natürlich viel besser als das da." Amüsiert fällt mir auf, dass ihr missbilligenden Blicke auch mich strafen. 'Danke für die "Jugend"', denke ich mir und grinse über mein inneres Zwiegespräch zur Generationenproblematik. Wenn die in ihrer Jugend schon McDoof gehabt hätten - und das nötige Kleingeld dafür - hätten die morgens um halb neun auch schon hier rumgesessen. Irritierenderweise hatte ich vorhin selbst darüber schwadroniert, warum so viele hier sind. Und in den Augen der beiden Alten, die gerade vorbeigelaufen sind, gehöre ich doch zur vermaledeiten Jugend. Kommt eben immer auf die Perspektive an.

Vielleicht sollte ich mir ein Blatt an die Stirn pinnen. "Beobachtungsposten" steht drauf. Damit die Anderen wissen, dass ich keiner der McDonalds-Junkies bin. Aber warum nur? Warum ist es nur so wahnsinnig wichtig zu demonstrieren, dass man hier oder dort nicht dazugehört? Während man sich innerlich von der einen oder anderen Gruppe oder Szenerie abgrenzt, gehört man für andere einfach dazu.

Die neue Familie an meinem rechten Nebentisch fällt voll ins Klischee. Während Muttern stoisch vor sich hinblickend in ihren Burger beißt und dabei so aussieht, als ob sie hier wohnt, motzt der Papa in tiefstem Hallenser Dialekt seinen etwa 9jährigen Sproß an: "Ey, Meiner! Wenn de niche stille sitzt, schmeiß mir glei das Bröddchen über'n Tisch." Fasziniert angewidert starre ich den Typen an. Ich bin mir nicht sicher, ob der schon mal mit Messer und Gabel gegessen hat und noch auf dem Baum wohnt. Am liebsten stünde ich jetzt auf und würde ihm in grammatikalisch korrektem Deutsch sein Brötchen in den Rachen stopfen. Gleichzeitig möchte ich weit weg sein. Ich gehöre nicht dazu. Nein. Und als das nächste Rentnerpaar, dass draußen mit dem frisch gekaperten Einkaufswagen vorbeizieht, strafende Blicke hereinwirft, möchte ich am liebsten rausbrüllen: "Ey, Meine! Und wenn ihr nicht gleich schneller lauft, schmeiß' ich das Brötchen über'n Tisch!" Ach, Mist. Ich habe ja gar kein Brötchen.

Na, dann stehe ich eben auf. Und gehe einkaufen.

Dienstag, 11. Februar 2014

Folgen

Als ich mit dem Bloggen anfing, hatte ich mir geschworen, immer nur über bestimmte Themen pro Blog zu schreiben. Themen, die mich interessierten und beschäftigten – egal ob in positiver oder negativer Hinsicht. Ich wollte nie einer dieser Blogger sein, der ständig nur schreibt, was er am Tag alles so macht. Ich wollte nie zu denen gehören, die den ohnehin nur halbwegs geneigten Leser damit anödet, dass ich ihm erzähle, wieviele Bröckchen von meinem Brötchen gerade abgefallen sind und wieviel Prozent davon unter dem Tisch gelandet sind. Dies unabhängig davon, dass ich gar keine Brötchen esse, weil ich *die Blaskapelle spielt bitte jetzt den Tusch* schon seit gut 6 Monaten gar kein Brötchen esse – abgesehen von den zahlenmäßig unbedeutenden Sünden des Bratwurstessens, die nunmal dummerweise im Brötchen daherkommt. 

Das fehlende Brötchen liegt natürlich an meiner Schwangerschaftsdiabetes. NEIN, ICH BIN NICHT SCHWANGER! Ich war mal. Ist schon was her. Damals hatte ich eine Schwangerschaftsdiabetes. Das führte aufgrund der passenden Diät dazu, dass ich am Ende der Schwangerschaft genausoviel wog wie am Beginn. Als der Krümel dem mütterlichen Bauch entfleucht war und auch der Rest das Weite gesucht hatte, was man da so in der Vorzeit ansammelt, fehlten mir auf einmal 16 Kilo. Dummerweise haben diese fiesen Kilos den Weg später wieder zu mir gefunden. Und jetzt mache ich eben wieder Schwangerschaftsdiabetesdiät, ohne schwanger zu sein. Und feiere die mittlerweile 14 Kilo weniger jeden Tag ein kleines bisschen.

So, ich schweife ab.

Ich wollte also nie zu den Bloggern gehören, die tagtäglich stinklangweilig von ihrem ach so aufregenden Tag erzählen. Das hatte ich mir am Anfang vorgenommen. Hat ja super funktioniert. Anderthalb Monate lang. Super! Glückwunsch!

Mein Tag begann also damit, dass ich durchschlief *Tusch*. Bis kurz nach sechs, als der Krümel mir fröhlich trällernd durch das Babyphone mitteilte, dass er jetzt wach sei. Mit dem unvergleichlichen Schwung einer Achtzigjährigen rollte ich aus dem Bett. Kaum dass ich stand, bemerkte ich den Stacheldraht um meinen Hals. Und wehe ich schluckte – da wurde der Draht noch ein wenig fester um meinen Hals gezogen. Ja, toller Tage heute, denke ich mir. Hätte ich da die Kopfschmerzen schon gehabt, die sich dummerweise erst 2 Stunden später dazugesellten, wäre ich wohl gleich wieder ins Bett gegangen.

Ich schlurfe rüber ins Kinderzimmer und mir wird mit generalstabsmäßiger Anordnung erklärt, dass der junge Mann heute im Kindergarten frühstücken möchte. Wird ja immer besser; denn das heißt: im Akkord Frühstück vorbereiten, alle Sachen irgendwie zusammenwerfen und innerhalb von 45 Minuten das Haus verlassen. Heißt im Umkehrschluss: keinen Kaffee für mich, von Frühstück ganz zu schweigen. Aber mein Hals würde im Augenblick eh nix akzeptieren. Also, Augen zu und durch.

Der Tag wurde kurzzeitig besser. Weil ich so zeitig dran war, habe ich meine Einkäufe vor der Arbeit erledigt und einen etwa zehnjährigen Jungen für den Rest des Tages glücklich gemacht, weil ich ihm 3 Packungen dieser doofen Fußballsticker, die der Laden derzeit als Aktion führt, schenkte. Und dann, weil ich den Postbooten reinließ, der vor dem Büro stand und verzweifelt alle Klingelknöpfe durchtestete, ohne dass sich einer erbarmte, ihn reinzulassen. Ich tat es und der bedankte sich dreimal dafür. Sehr putzig.

Doch dann warf ich einen Blick in meinen Kalender. Zunächst erfreut, weil sich da nur ein Besprechungstermin fand und das gleich früh, dann etwas ernüchtert, weil es sich um eine uralte Sache handelt, die damals mit viel – auch medialem – Gewitter einher ging.

Die Mandantin, die da kurze Zeit später anrückte, kam vor etwa 10 Jahren das erste Mal in unsere Kanzlei. Sie war erst ein halbes Jahr verheiratet, der kleine Junge war gerade 4 Monate alt geworden. Sie hatte ihren Mann im Internet in einem dieser Chatrooms kennengelernt und kaum 1 Monat später wohnten sie bereits zusammen. Allerdings waren die beiden unterschiedlicher als Pat und Patachon. Er introvertiert und verklemmt, sie viel jünger, lebenslustig und – sagen wir mal – dem Rest der Welt gegenüber sehr aufgeschlossen.

Kaum verheiratet und Eltern, begannen die Probleme und innerhalb von 3 Monaten beschloss man, sich zu trennen. Sie fuhr über das Wochenende zu ihrem neuen Freund, er passte auf das Kind auf. Folgenschwer. Infolge von Überlastung und fehlender Unterstützung für ihn sowie in einer Art Blackout schüttelte er das schreiende Kind über eine Minute so kräftig, bis es ruhig wurde. Vermutlich hatte der vorher noch nie was vom Schütteltrauma gehört. Den Ärzten gelang es, dass der Kleine überlebte, aber die Schädigungen waren so schwer, dass er bis ans Lebensende ein Schwerstbehinderter bleiben würde. Nie würde er über den Status eines Dreijährigen hinauskommen. Nie würde er singen, toben und tanzen können. Wir vertraten sie anwaltlich und regelten alles, was zu regeln war. Etwa 3 Jahre später verzog sie nach Bayern und ich sah sie nicht wieder. Auch das Kind nicht.

Bis heute. Heute kam sie und brachte das Kind mit. Der Kleine ist inzwischen fast 10 Jahre alt und ist ein richtig großer Junge geworden. Und heute geschah es dann, dass mir wieder schlagartig vor Augen geführt wurde – und das im wahrsten Sinne des Wortes – was Taten für Folgen haben können. Für immer an den Rollstuhl gefesselt, nicht in der Lage, ein Wort zu sagen und sich nur mit mit Schreilauten verständigen könnend, muss er mit einem Nuckel ruhiggestellt werden, wenn er sich in einer ungewohnten Umgebung mit unbekannten Leuten befindet und sich offenkundig daher unwohl fühlt. Die Augen aber, so unterschiedlich die Blickrichtung der beiden war, zeigten irgendwie eine Art von Anteilnahme an dem Geschehen um ihn herum, auch wenn ich überhaupt nicht weiß, was er tatsächlich bewusst aufnehmen kann und was nicht.

Dieses Kind hatte keine Wahl, welches Leben es führen darf. Er wurde nicht gefragt, ob er es toll finden würde, als gesund geborenes Kind im Alter von 4 Monaten zum Schwerstbehinderten gemacht zu werden. Er hat keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern und ist gefangen in sich selbst. Und was mich noch heute auf die Palme bringt, ist der die Schuld abstreitende Vater, der es ach so schwer hatte. Den Kleinen hat er nach der Tat kaum noch gesehen, Umgang gibt es seit 8 Jahren keinen. Unterhalt zahlt er mehr schlecht als recht. Er legte sich lieber eine neue Frau und ein neues Kind zu und spielt jetzt heile Welt. Manchmal wünscht man sich Waffengesetze wie in den USA.

Ich meine, wir machen uns bei bestimmten Alltagshandlungen keine Gedanken darum, was diese auslösen können. Wäre bei der einen oder anderen Tat auch ziemlich dämlich, denn was macht es, wenn ich die Gurke am Gemüsestand eben nicht in meinen Korb packe. Oder doch. Aber ab und an sollten wir mal darüber nachdenken, was wir da eigentlich tun und was das für Folgen haben kann.

In dem Sinne.

Samstag, 8. Februar 2014

Trauriger Äppelwoi

Ich hasse diese Küchenuhr. Nicht nur, weil sie eine dieser vorsintflutlichen, hässlich-roten Dinger ist, die ständig stehen bleibt und immer kurz vor der Entsorgung völlig penetrant weiterläuft oder weil sie noch penetranter laut tickend die Stille der Küche durchbricht.

Nein, ich hasse sie, weil sie – sofern sie mal geht – einfach so Scheiße ehrlich ist.

„Mama, wie spät ist es?“ würde mein Vierjähriger jetzt fragen. „Schau mal mein Schatz. Der große Zeiger da, der Minutenzeiger ist auf dem Weg von einer vollen Stunde zur anderen, also von der Zwölf zur Zwölf eine halbe Runde rum und steht auf der Sechs. Und der Kleine, der Minutenzeiger ist von der Zwei auf dem Weg zur Drei. Wie spät ist es?“ Er würde jetzt den Finger steil aufrichten, um die Luft anzupieksen, würde die Augen weit aufreißen und mit äußerst wichtiger Miene sagen: „Mama, es ist acht Uhr!“

„Ja, mein Schatz.“ Widerstand ist zwecklos.

Aber er fragt jetzt nicht. Er liegt ganz still in seinem Bettchen und schläft. Den Schlaf der Gerechten, den Schlaf der Kinder, die sich noch um nichts Gedanken machen müssen. Den Schlaf, den man schlafen darf und sollte.

Mein Schlaf hat sich vorläufig erledigt. Die Dampfmaschine nimmt Fahrt auf, denn die Ereignisse des Tages haben ihre Spuren auf dem Keilriemen hinterlassen.

Fühle ich mich verraten? Nein, verraten nicht. Oder? 

Allein gelassen? Irgendwie schon. Ohne auch nur die geringste Schuldzuweisung geben zu können. Oder zu wollen. Oder zu dürfen.

Habe ich etwa Angst mein Vertrauen zu verlieren? Hoffentlich nicht!

Mit dem Vertrauen ist das nämlich so eine Sache. Bei mir. Unsere schnelllebige Zeit ist geprägt von Annehmen und Wegwerfen. Nicht nur zermatschte McDonalds-Verpackungen, die ruckzuck über den Ladentisch gehen, deren Inhalt mindestens genauso schnell und gierig in des Käufers Magen verschwindet und die dann achtlos auf die Straße geschmissen werden. Oder die neueste Lieblings-Bluse, die nach 5 Wochen nicht mehr mit dem Hintern angeschaut wird; auch wenn man sich selbige mitnichten über den Hintern zieht. Alles ist austauschbar, alles Neue ist besser als das Vorherige. In Lichtgeschwindigkeit werden Wohnungen, Städte, Freunde und Ehepartner ausgetauscht. Angeschafft und abgeschossen.

Bis zu einem bestimmten Punkt geht einiges. Vieles vielleicht. Nicht so beim Vertrauen. Vertrauen ist etwas, was ich nicht so leicht aufbaue. Zu viele Enttäuschungen, zu viele Verletzungen, zu viele Arschtritte von vermeintlich Vertrauten. Vertrauen ist das Kryptonit meines Lebens.

Ich habe Bekannte und Freunde. Sicherlich lässt es sich nicht vermeiden, dass diese kommen und gehen. Einige kommen, um zu bleiben. Ohne, dass sie anfangen wie Fisch zu stinken. Andere schaffen es nicht mal über die erste Base. Aber selbst im Freundeskreis existieren nur sehr wenige, denen ich vertraue. Genau gesagt: zwei.

Zwei, denen ich bedingungslos vertraue. Die mehr von mir wissen, als ich wahrscheinlich von mir selber. Und diese beiden sind mehr wert, als eine ganze Horde von „Freunden“, die keinen blassen Schimmer von meinen Ängsten und Sorgen haben. Und es vermutlich auch nicht haben wollen. Und was bringt mir bitte so ein beklopptes oberflächliches Gefasel über die Falschheit unserer Politik und Arbeitslosigkeit, Stress und was weiß ich, wenn ich denen nicht mal ansatzweise sagen kann, dass ich mich beschissen fühle. Nichts. Darum brauch ich das auch nicht. Nur diese beiden.

Und dann gibt es einen Dritten. Kein Freund - irgendwie. Eher ein Bekannter. Aber ein Vertrauter. Einer, der sich mein Vertrauen in den letzten Jahren Stück für Stück erworben hat. Mit schonungsloser Ehrlichkeit, aber auch mit trockenem Humor und viel Reden. Und dem Gefühl, dass es ihm in weiten Teilen wichtig ist. Ich weiß noch, dass ich bei unserer ersten Begegnung dachte 'Oh, Gott. Wat für ein Schnösel.' Er kam damals um die Ecke geclogt und fuhr sich mit einer Hand durch das strohblonde Haar. Ein Scheinender – so sah es aus. Das da viel mehr drin steckte, merkte ich erst im Laufe der Zeit. Heute mag ich mir bestimmte Dinge ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er hat mir Sicherheit und Halt gegeben. Und das in einer Sache, die mich im tiefsten Innern bewegt und für mich das Wichtigste in meinem Leben ist. Einer Angelegenheit, in der mir oft Unterstützung und Reden fehlte. Helfendes Reden. Insider-Reden.

Und das soll jetzt wegbrechen? Soll einfach – zunächst rein räumlich – nicht mehr da sein? Es wird nicht mehr das Gleiche sein, wird sich verändern. Und ich habe Angst, dann irgendwann ohne diesen Dritten zu sein. Vielmehr ohne das Vertrauen. Weil einfach die Entfernung für eine Entfremdung sorgen könnte. Natürlich haben wir in dieser Entscheidung – weder positiv, noch negativ – eine Rolle gespielt. Dazu sind wir für das private Leben einfach nur unwichtig. Aber es fühlt sich in negativer Hinsicht irgendwie so an. Und das, obwohl diese Entscheidung ganz sicher gut und richtig ist. Vermutlich hätte ich sie in rein objektiver Hinsicht auch getroffen. Vielleicht schon viel eher. 

Das ändert aber für mich nichts. Das Gefühl der Leere, der Enttäuschung und des Verlierens bleibt. Who the fuck is Frankfurt??? Da gibt es doch nur Äppelwoi. Traurigen Äppelwoi.

Und während die Küchenuhr enervierend vor sich hin tickt, hämmere ich auf die Tasten meines Schläpptopps ein. Und verarbeite. Aber die Nachtstunden sind gut, um die Gedanken zu ordnen. Und, um zu schreiben.

Sonntag, 2. Februar 2014

Voodoo

"Ich habe da was gelesen."

Also ehrlich! Es gibt Sätze, da könnte jeder Anwalt zum Meuchelmörder werden. Und: "Ich hab da was gelesen", kommt unmittelbar nach dem Telefonanrufbeginn eines völlig Unbekannten: "Ich hab mal 'ne Frage."


Und dabei war dieser Mandant mir ursprünglich nicht unsympathisch. Leider hat mich mein erster Eindruck getäuscht. Nach etlichen Berufsjahren kann ich eigentlich Ärger und anstehende Aktenbearbeitungsfrustration förmlich riechen, wenn der Neu-Mandant zur Erstberatung an der Kanzleitür an mir vorbeischwebt. Vor heute hat das nur einmal nicht funktioniert, aber das ist ein anderer Blog.


Hier nicht. 


Vermutlich ließ ich mich von diesem unschuldig-traurigen Blick und dem zurückhaltenden Wesen irritieren. Oder davon, dass der sich eine Frau aus dem Urlaub mitgebracht hat (einem Urlaub, wo man lange, sehr lange im Flieger sitzt), diese noch dort heiratete, sie mitbrachte, gleich ein Kind kam und sie sich - in Gewissheit seines enormen Einkommens - nach anderthalb Jahren Ehe ins Frauenhaus absetzte und horrende Unterhaltsforderungen ausrief. Kluges Mädchen. Gehörnter Ehegatte. Ich hatte Mitleid nach so viel fraulicher Popo-Haue.


Das änderte sich in der zweiten Besprechung.


"Ich habe da was gelesen."


"Aha." Und schlagartig wird mir klar, wie verhängnisvoll die nächsten anderthalb Stunden werden. Und wie anstrengend. Ich weiß genau, dass ich die nächste Frage nicht stellen will und lieber wegrennen sollte. Aber das geht grad schlecht. "Was haben Sie denn gelesen?"


"Ich habe ein wenig im Internet recherchiert (*DA war es wieder*) und gelesen, dass der Trennungsunterhalt wegen der kurzen Ehe auch ausgeschlossen werden kann." Ah, er entpuppt sich als kleinkarierter Geizkragen, der einer Ausländerin erstmal ein Kind anbaut und sie dann im Frauenhaus versickern lassen möchte.


"Nein, tut mir leid. Die Vorschrift des § 1579 Nr. 1 BGB ist nicht auf § 1361 BGB anwendbar. Steht da im Absatz 3." "Was ist mit denn mit den anderen Nummern?" Wir gehen eine dreiviertel Stunde jede Einzelne der sieben weiteren Nummern durch. Ich stöhne innerlich vor so viel Pedanterie.


"Und außerdem bekommt sie Betreuungsgeld, das muss doch als Einkommen angerechnet werden." "Betreuungsgeld? Was meinen Sie mit Betreuungsgeld? Elterngeld, Landes- oder Bundeserziehungsgeld oder DAS Betreuungsgeld?"


"Ich meine das Betreuungsgeld, dass es seit dem 01.08.2013 gibt, wenn man sein Kind nicht in die Einrichtung gibt, sondern zu Hause bleibt. Sie sollten sich dahingehend unter Umständen weiterbilden." Langsam bekommt er Ähnlichkeit mit dem Johnny aus dem Johnny-Cab von Total recall.


"Das brauche ich nicht. Ich habe nur gefragt, weil manche Mandanten die Begrifflichkeiten verwechseln und Kindergeld für Kindesunterhalt, Erziehungsgeld für Betreuungsgeld und Betreuungsgeld für Betreuungsunterhalt halten. Ich wollte nur sichergehen, dass wir von demselben reden. Eine Weiterbildung brauche ich dafür nicht. Aber danke für den Hinweis." Ich kotze gleich und strecke meine imaginäre Hand nach seinem Hals aus.


"Und bezüglich der Krankenkassenkosten gibt es komplett unterschiedliche Auffassungen von Ihnen und der Gegenseite und ich möchte auch hier die Gesetzeslage mit Ihnen durchgehen." Meine imaginäre Hand schließt sich fester um seinen blassen Hals. Eine weitere halbe Stunde vergeht.


Und dann kommt der persönliche Tiefschlag. "Mir wäre wichtig, dass Sie sich bei der Kommunikation mit der Gegenseite auf einen formal hinreichenden Stil reduzieren. Der kollegiale Kram trägt nichts zur Sache bei. Bitte nur Fakten." Und das, wo ich immer so stolz auf (die meisten) Schriftsätze bin, die weder Schlammschlachten schlagend, noch emotional-triefend sind. Außer in Umgangs- und Sorgerechtssachen, zugegebenermaßen.


"Das mache ich doch immer. Was soll ich denn anders machen?"


"Sie sind doch der Anwalt." 


Ich überlege, welche Materialien ich auf die Schnelle in meinem Büro finde, aus denen sich eine Voodoo-Puppe nach gegenübersitzendem Vorbild bauen ließe, in die ich dann meine riesige Büroschere, genüsslich wie Jim seine Finger im Apple-pie, versenken kann.





Und gleichzeitig hoffte ich, dass der Typ da vor mir kein Betazoid ist.


Während er noch vor sich hin grummelnd meine Unterhaltsberechnung wie eine bittere Pille runterschluckt, erstelle ich vor meinem geistigen Auge die Gebührenrechnung und was ich mir davon schickes kaufen werde. Der Tag wird besser.