Dienstag, 11. Februar 2014

Folgen

Als ich mit dem Bloggen anfing, hatte ich mir geschworen, immer nur über bestimmte Themen pro Blog zu schreiben. Themen, die mich interessierten und beschäftigten – egal ob in positiver oder negativer Hinsicht. Ich wollte nie einer dieser Blogger sein, der ständig nur schreibt, was er am Tag alles so macht. Ich wollte nie zu denen gehören, die den ohnehin nur halbwegs geneigten Leser damit anödet, dass ich ihm erzähle, wieviele Bröckchen von meinem Brötchen gerade abgefallen sind und wieviel Prozent davon unter dem Tisch gelandet sind. Dies unabhängig davon, dass ich gar keine Brötchen esse, weil ich *die Blaskapelle spielt bitte jetzt den Tusch* schon seit gut 6 Monaten gar kein Brötchen esse – abgesehen von den zahlenmäßig unbedeutenden Sünden des Bratwurstessens, die nunmal dummerweise im Brötchen daherkommt. 

Das fehlende Brötchen liegt natürlich an meiner Schwangerschaftsdiabetes. NEIN, ICH BIN NICHT SCHWANGER! Ich war mal. Ist schon was her. Damals hatte ich eine Schwangerschaftsdiabetes. Das führte aufgrund der passenden Diät dazu, dass ich am Ende der Schwangerschaft genausoviel wog wie am Beginn. Als der Krümel dem mütterlichen Bauch entfleucht war und auch der Rest das Weite gesucht hatte, was man da so in der Vorzeit ansammelt, fehlten mir auf einmal 16 Kilo. Dummerweise haben diese fiesen Kilos den Weg später wieder zu mir gefunden. Und jetzt mache ich eben wieder Schwangerschaftsdiabetesdiät, ohne schwanger zu sein. Und feiere die mittlerweile 14 Kilo weniger jeden Tag ein kleines bisschen.

So, ich schweife ab.

Ich wollte also nie zu den Bloggern gehören, die tagtäglich stinklangweilig von ihrem ach so aufregenden Tag erzählen. Das hatte ich mir am Anfang vorgenommen. Hat ja super funktioniert. Anderthalb Monate lang. Super! Glückwunsch!

Mein Tag begann also damit, dass ich durchschlief *Tusch*. Bis kurz nach sechs, als der Krümel mir fröhlich trällernd durch das Babyphone mitteilte, dass er jetzt wach sei. Mit dem unvergleichlichen Schwung einer Achtzigjährigen rollte ich aus dem Bett. Kaum dass ich stand, bemerkte ich den Stacheldraht um meinen Hals. Und wehe ich schluckte – da wurde der Draht noch ein wenig fester um meinen Hals gezogen. Ja, toller Tage heute, denke ich mir. Hätte ich da die Kopfschmerzen schon gehabt, die sich dummerweise erst 2 Stunden später dazugesellten, wäre ich wohl gleich wieder ins Bett gegangen.

Ich schlurfe rüber ins Kinderzimmer und mir wird mit generalstabsmäßiger Anordnung erklärt, dass der junge Mann heute im Kindergarten frühstücken möchte. Wird ja immer besser; denn das heißt: im Akkord Frühstück vorbereiten, alle Sachen irgendwie zusammenwerfen und innerhalb von 45 Minuten das Haus verlassen. Heißt im Umkehrschluss: keinen Kaffee für mich, von Frühstück ganz zu schweigen. Aber mein Hals würde im Augenblick eh nix akzeptieren. Also, Augen zu und durch.

Der Tag wurde kurzzeitig besser. Weil ich so zeitig dran war, habe ich meine Einkäufe vor der Arbeit erledigt und einen etwa zehnjährigen Jungen für den Rest des Tages glücklich gemacht, weil ich ihm 3 Packungen dieser doofen Fußballsticker, die der Laden derzeit als Aktion führt, schenkte. Und dann, weil ich den Postbooten reinließ, der vor dem Büro stand und verzweifelt alle Klingelknöpfe durchtestete, ohne dass sich einer erbarmte, ihn reinzulassen. Ich tat es und der bedankte sich dreimal dafür. Sehr putzig.

Doch dann warf ich einen Blick in meinen Kalender. Zunächst erfreut, weil sich da nur ein Besprechungstermin fand und das gleich früh, dann etwas ernüchtert, weil es sich um eine uralte Sache handelt, die damals mit viel – auch medialem – Gewitter einher ging.

Die Mandantin, die da kurze Zeit später anrückte, kam vor etwa 10 Jahren das erste Mal in unsere Kanzlei. Sie war erst ein halbes Jahr verheiratet, der kleine Junge war gerade 4 Monate alt geworden. Sie hatte ihren Mann im Internet in einem dieser Chatrooms kennengelernt und kaum 1 Monat später wohnten sie bereits zusammen. Allerdings waren die beiden unterschiedlicher als Pat und Patachon. Er introvertiert und verklemmt, sie viel jünger, lebenslustig und – sagen wir mal – dem Rest der Welt gegenüber sehr aufgeschlossen.

Kaum verheiratet und Eltern, begannen die Probleme und innerhalb von 3 Monaten beschloss man, sich zu trennen. Sie fuhr über das Wochenende zu ihrem neuen Freund, er passte auf das Kind auf. Folgenschwer. Infolge von Überlastung und fehlender Unterstützung für ihn sowie in einer Art Blackout schüttelte er das schreiende Kind über eine Minute so kräftig, bis es ruhig wurde. Vermutlich hatte der vorher noch nie was vom Schütteltrauma gehört. Den Ärzten gelang es, dass der Kleine überlebte, aber die Schädigungen waren so schwer, dass er bis ans Lebensende ein Schwerstbehinderter bleiben würde. Nie würde er über den Status eines Dreijährigen hinauskommen. Nie würde er singen, toben und tanzen können. Wir vertraten sie anwaltlich und regelten alles, was zu regeln war. Etwa 3 Jahre später verzog sie nach Bayern und ich sah sie nicht wieder. Auch das Kind nicht.

Bis heute. Heute kam sie und brachte das Kind mit. Der Kleine ist inzwischen fast 10 Jahre alt und ist ein richtig großer Junge geworden. Und heute geschah es dann, dass mir wieder schlagartig vor Augen geführt wurde – und das im wahrsten Sinne des Wortes – was Taten für Folgen haben können. Für immer an den Rollstuhl gefesselt, nicht in der Lage, ein Wort zu sagen und sich nur mit mit Schreilauten verständigen könnend, muss er mit einem Nuckel ruhiggestellt werden, wenn er sich in einer ungewohnten Umgebung mit unbekannten Leuten befindet und sich offenkundig daher unwohl fühlt. Die Augen aber, so unterschiedlich die Blickrichtung der beiden war, zeigten irgendwie eine Art von Anteilnahme an dem Geschehen um ihn herum, auch wenn ich überhaupt nicht weiß, was er tatsächlich bewusst aufnehmen kann und was nicht.

Dieses Kind hatte keine Wahl, welches Leben es führen darf. Er wurde nicht gefragt, ob er es toll finden würde, als gesund geborenes Kind im Alter von 4 Monaten zum Schwerstbehinderten gemacht zu werden. Er hat keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern und ist gefangen in sich selbst. Und was mich noch heute auf die Palme bringt, ist der die Schuld abstreitende Vater, der es ach so schwer hatte. Den Kleinen hat er nach der Tat kaum noch gesehen, Umgang gibt es seit 8 Jahren keinen. Unterhalt zahlt er mehr schlecht als recht. Er legte sich lieber eine neue Frau und ein neues Kind zu und spielt jetzt heile Welt. Manchmal wünscht man sich Waffengesetze wie in den USA.

Ich meine, wir machen uns bei bestimmten Alltagshandlungen keine Gedanken darum, was diese auslösen können. Wäre bei der einen oder anderen Tat auch ziemlich dämlich, denn was macht es, wenn ich die Gurke am Gemüsestand eben nicht in meinen Korb packe. Oder doch. Aber ab und an sollten wir mal darüber nachdenken, was wir da eigentlich tun und was das für Folgen haben kann.

In dem Sinne.

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