Donnerstag, 1. Juni 2017

Enttäuschung

Es ist, als ob sich eine dieser neu gekauften Schlafmatratzen in deinem Magen entrollt. Durch einen Satz wird die sorgsam vom Fabrikanten auf ein Minimum zusammengequetschte und in stabilstes Zelophan verpackte Matratzenrolle gesprengt und schwillt innerhalb von Millisekunden im Magen zu seiner vollen Größe an. Gleichzeitig steht draußen ein Mike Tyson und haut mit stahlplatinierten Boxhandschuhen in schönem Gleichklang in deinen Magen - bäm bäm bäm bäm. Der Magen, von außen traktiert und von innen lückenlos übervoll kann gar nichts mehr sagen, er hat ja Watte im Maul.

So fühlt sich Enttäuschung an. Wut. Traurigkeit.

Enttäuschung? Worüber?
Wut? Warum?
Traurigkeit? Weshalb?

Was passiert, damit das alles zusammenkommt? Ist eigentlich ganz einfach. Zumindest dann, wenn man erstmal stundenlang wie ein angespitztes Kaninchen laut fluchend, schimpfend, tobend und zeternd - innerlich und äußerlich - durch die Gegend getorkelt ist, um dieses ohnmächtige Gefühl erst einmal ansatzweise überhaupt einordnen zu können. Ist die undefinierbare Wut ein wenig verraucht und versucht man dann, die Traurigkeit und die Enttäuschung irgendwo im Matratzenwust zu lokalisieren und zu analysieren, dann findet man ganz schnell des Übels Wurzel: die Erwartung. Vielmehr noch: die eigene Erwartung.

In etwas anderes. In jemand anderen.

Die Erwartung darin, dass andere Menschen einem Vorhaben die gleiche Bedeutung einräumen, wie man selbst. Das ihnen das gemeinsame Tun und das Zusammensein genauso wichtig sind, wir mir. Das die Tatsache, dass das seit einem dreiviertel Jahr ständig thematisiert wird, geplant, mit Vorstellungen befeuert und herbeigefiebert wird in allen Köpfen genauso präsent ist, wie in meinem. Das es anderen genauso wichtig ist, mit mir dort zu sein und das zu erleben, wie es mir wichtig ist, mit diesen Menschen dort zu sein und das zu erleben.

Ist es nicht.

Die eigene Wahrnehmung dessen, was mir wichtig ist, habe ich auf andere projiziert und angenommen, dass diese die exakt gleiche Wahrnehmung haben. Haben sie nicht. Weder in die Wichtigkeit des Vorhabens, noch darin, mit mir dort zu sein.

Abgesagt. Abgehakt. Ist doch nicht schlimm, oder?

     „Enttäuschung ist ein Gefühl, das die Menschen an
     ihrer Wurzel packt und diese wie ein Zahnarzt zieht,
     leider oft ohne Betäubungsmittel: das Vertrauen. 
     Und verloren gegangenes Vertrauen ist nur schwierig 
     wieder aufzubauen.“ (Zitat: Angela Steffens)

Genau das ist das Problem. Die Tatsache, dass die Enttäuschung so enorm schwer wiegt und noch immer weh tut, wirft die Frage auf, worauf diese gründet und wie sie als erneute Enttäuschung zu vermeiden ist.

Eine falsche Erwartungshaltung ist das eine. Sie bedeutet aber nicht nur, dass ich meine eigene Wahrnehmung auf andere projiziert habe, sondern dass ich schlicht in der Einschätzung des anderen Menschen falsch gelegen habe. In seiner Stellung zum Vorhaben und in der Stellung zu mir. Heißt: ich habe mich in dem anderen Menschen getäuscht. Und wenn ich den Menschen bei dieser Sache falsch eingeschätzt habe, liege ich dann bei viel grundlegenderen Dingen, wie der Definition von Freundschaft, Loyalität, Verständnis etc. genauso falsch? Habe ich nur einen Teilausschnitt dieses Menschen fehlerhaft interpretiert oder den ganzen Menschen?

Das weitere Problem ist dann aber tatsächlich das Vertrauen. Kann ich meiner eigenen Einschätzung von anderen Menschen vertrauen? Kann ich dem Menschen noch vertrauen in weitere Versprechen seinerseits? Geht das je wieder?

Denn gerade weil mir dieses konkrete Vorhaben so unendlich wichtig ist und ich selbst dies immer und immer wieder - auch und vor allem gegenüber diesen Menschen - so herausgestellt habe, wiegt die Enttäuschung und damit die Ungewissheit in Bezug auf das Vorhandensein weiteren Vertrauens so schwer.

     Die Enttäuschung tritt ein in dem Moment, in dem 
     eine Erwartung sich nicht erfüllt. 
     (Zitat: Angela Steffens)

Tatsächlich wäre es eine Möglichkeit, keine Erwartungen mehr in den anderen Menschen zu haben. Nie wieder davon auszugehen, dass sich dieser an Versprechen oder Ankündigungen hält. Nichts mehr zu glauben, was dieser ankündigt. Aber, ist denn das ein Leben? Ist das das Ziel, um ja nicht mehr verletzt zu werden? Es fühlt sich an wie tot sein. Nie wieder Vorfreude zu verspüren. Sich nur auf sich selbst zu verlassen klingt sehr einsam.

Nein, so will ich nicht werden. Ich will mich auch zukünftig auf etwas freuen und mich auch freuen, das mit anderen zusammen zu erleben. Ich will Vertrauen haben, ich will erwarten.

Für mich stellt sich nur die Frage, wie oft man das mitmachen kann. Bei der ersten Enttäuschung wog es noch nicht so schwer, die zweite lag wie ein kleinerer Stein im Magen, die dritte wuchs sich zu einem Geröllhaufen aus. Und die jetzige ist der Matratzenladen. Kann hier noch Vertrauen sein? Kann man hier noch Erwartungen ansiedeln? Kann man hier hoffen, nicht mehr enttäuscht zu werden?