Sonntag, 5. Oktober 2014

Die Lebensuhr

Es gibt Tage im Leben, die sind - gefühlt - lebenswerter, als andere. Und da meine ich nicht solche, die im Grau des Arbeitsalltags, des Terminsdrucks, des ewig pingenden Handys, der Hetzerei und nörgelnden Mandanten untergehen und einem einmal mehr vor Augen führen, dass einem wieder Zeit für die Familie und mich selbst durch die Finger rinnt, wie der weiße Sand im lange vergangenen Sommerurlaub.

Ich meine die Tage, an denen mir bewusst wird, dass ich noch lebe. Tage, an denen ich mich an liebe Menschen erinnere, die nicht mehr hier sind. Die mir wichtig in meinem Leben waren und die viel zu früh gegangen sind. Deren Lachen mir fehlt. Die mir fehlen. Kurze Sequenzen vergangener Begegnungen fallen mir ein und lassen mich lächeln. Und traurig werden, im Angesicht der Tatsache, dass diese Dinge nie wieder geschehen werden. Sie machen mir bewusst, dass das Leben in Sekundenschnelle vorbei sein könnte.

Wie lang läuft meine Lebensuhr noch? Einen Tag? Einen Monat? 15 Jahre? Will man wissen, wie lange sie noch tickt, die Lebensuhr? Würden Sie es wissen wollen?

So schwierig und schwer diese Gedanken sein können, so wichtig sind sie doch in meinem Leben. Sie machen mir bewusst, dass ich lebe. Sie lassen mich in diesen Momenten den Himmel blauer wahrnehmen, die Sonne heller und das Lachen meines Kindes strahlender. Sie intensivieren auf seltsame Weise das Empfinden des Hier und Jetzt und machen diese Momente damit zu etwas Besonderem. 

In solchen Momenten ist das Leben lebenswerter.

In liebevoller Erinnerung


Freitag, 3. Oktober 2014

Säggssch for ju

Ich liebe ja meine sächsische Heimat. Als ich noch jung-zugereiste Studentin war und mit meinem dreckigen Berliner Akzent allzu arg auffiel, saß ich eines Morgens in der rumpel-pumpligen Straßenbahn und verfluchte mich zum weiß-ich-wievielten-Male, dass ich an diesem grauen Novembermorgen tatsächlich so doof gewesen war, das warme Bett im zugigen, kakerlakenverseuchten Studentenwohnheim zu verlassen, statt mich nochmal umzudrehen und weiterzuschlafen.

"Cha, da hasde rechd; Räächn wermer griechn!"

Hääää? Ich riss die schlaftrunkenen Augen auf und starrte die beiden älteren Damen an, die mir gegenüber in ihre unvermeidlich grau-brauen Mikrofaserjacken gehüllt waren. Ich war versucht, die Lockenwickler in ihren Haaren zu suchen, die sie aber geschickterweise unter einem wie-auch-immer Kopftuch versteckt hatten. Die beiden saßen schon geraume Zeit dort und plapperten munter vor sich hin. Ich hatte nicht zugehört - die letzte Studentenwohnheimfeier war erst wenige Stunden vorbei und ich nicht geneigt, mir das Gesülze zweier älterer Damen als Horchangriff reinzuziehen.

Ich verstand kein sächsisch. Das war schlimmer als griechisch-römisch und bayrisch-türkisch. 

Nur hatte ich mir Leipzig als neue Heimat ausgesucht und musste irgendwann mal anfangen, diese komische Sprache zu verstehen. Und das tat ich.


Quelle: schindluder.net

Im Laufe der folgenden - inzwischen 21 Jahre - lernte ich nicht nur die Sprache kennen und irgendwie auch lieben, sondern vor allem die Art, wie wir Leipziger mit diesem Dialekt spielen und ihn teilweise sogar vorsätzlich-ironisch einsetzen, um anderen zu zeigen, dass wir besonders sind. Und dabei ist es mir schnurz-pieps-egal, dass sächsisch angeblich der unbeliebteste deutsche Dialekt sei. Da können die eigentlich nur dieses Genuschel der nativen Bergvölker im Süden des schönsten Freistaates dieser Welt meinen.

Den Leipziger Dialekt zu kennen, zu verstehen und zu lieben, heißt, den Leipziger zu verstehen und zu lieben. Offen, sympathisch und das Herz immer auf der Zunge tragend, ist der Leipziger vor allem eines: gesellig & lustig. Der Leipzscher häld nich de Gusche. Weder so eigenbrödlerisch wie die nativen Bergvölker oder so selbstverliebt wie die Dresdner, nicht so neidisch wie die Chemnitzer und schon gar nicht so dreckig-schwatzend wie die Zwickauer. Einfach zum lieb haben.

So, zurück zum Dialekt. Kostproben gefällig?


Schammbannchorr - sär leggor
Babbiergriech - dämlisch
Gelumbe 
Säschelboad
Guldur - wat?
Modschekiebschn - schnugglisch
Gämiedlichgeed - ursäggssch
Wannsdrammln - Allasch druff un jut


Dangescheen for de Uffmerchsamkeet!

Montag, 15. September 2014

Kerstchen allein zu Haus

Okay, abgesehen davon, dass es fast peinlich ist, wenn Frau allein im Restaurant sitzt, genieße ich das hier gerade mächtig.

Laut meinem allseits verfügbaren online-Kalender ist jetzt Fachkreistreffen des Leipziger Anwaltsvereins. Richterstammtisch. 

Stell dir vor, es ist Fachkreis und keiner geht hin. Keiner, außer Kerstchen. 

Entweder erschieße ich morgen meine Sekretärin oder mich. Denn bis zu mir ist die Kunde des nicht stattfindenden Fachkreistreffens nicht vorgedrungen. Also setze ich mich, anstatt nach Hause zu fahren, ins Restaurant, esse zu Abend, schreibe an meinem Blog und chatte. Herrlich. Entspannend. Schön.



Das Ergebnis dieser wunderbaren anderthalb Stunden gibt es bald hier zu lesen.

In diesem Sinne.

Dienstag, 2. September 2014

Hamlet im Weltraum


Der Weltraum, unendliche Weiten …

Der Gedanke an diesen legendären Text springt mich genauso an wie eine lästige Klette, wenn ich mit meinem Kind durch den 130. Busch des Tages krauche, weil er mal wieder irgendeinen ungeheuer wichtigen Stock sucht und dabei an diesem vermaledeiten Strauchwerk vorbeikomme.

Der Weltraum - da bin ich jetzt auch. Aber DER Weltraum ist eben nicht Kirks wunderbarer Alpha-Quadrant, in dem der Forschergeist noch blühte und Scottie meckernd vor sich hin bastelte. Es ist auch nicht Capt’n Siscos Gamma-Quadrant, in dem dieser das fiese Dominion bekämpfte. 

Nein, es ist der Omega-Quadrant. Mein Omega-Quadrant. Und der liegt mitten in Brandenburg. Er ist wüst und öd und leer. Nicht ein einziges Signal. Nicht das klitzekleinste Funksignal.

Ich sitze auf meinem Handtuch, starre auf mein Handy und habe auch den letzten Rest guten Glaubens verloren, als mein smartphone völlig bockig zum weiß-ich-wievielten-Male heute mitteilt, dass mein Foto nicht hochgeladen werden konnte. 

Ödland. Tal der Ahnungslosen. Mitten in Deutschland. Wie bitte soll die Welt wissen, was ich mache? Hilfe! Bin ich wirklich hier, wenn ich es nicht poste? Gibt es diesen Ort überhaupt? Behaupte ich nicht nur, dass ich im Urlaub bin, obwohl ich mich womöglich in einem Paralleluniversum durch die überfüllte Innenstand presse, in einer Hand 20 Einkaufstüten und in der anderen Cupcakes? Ich habe seit gefühlten 20 Millionen Jahren nichts gepostet, seit dem Aussterben der Dinosaurier keine whatsapp Nachricht mehr erhalten und nicht mal mehr mein line gibt das leise, aber penetrante „line“-Getröte ab. Vom Spiel gar nicht zu reden.

Meine Sinnkrise wächst. Sein oder nicht sein. Das ist hier die Frage. Ob Hamlet durch den Omega-Quadranten reiten könnte und so einen kleine Funkmast direkt vor meine Nase baut?

Irritiert von der Halsstarrigkeit meines Handys blicke ich mich um, ohne meinen wie manisch buddelnden Vierjährigen wirklich aus den Augen zu lassen. Links von mir ein junges Pärchen. Während sie, „geschmückt“ mit einem mittlerweile unansehnlichen Arschgeweih und irgendwelchen inzwischen genauso überstrapazierten Schriftzeichen auf dem Arm, hektisch rauchend auf ihrem Handy rumtippt, vermutlich um all meinen whatsapp- und line-Kontakten zu petzen, dass ich jetzt zu den Offlinern gehöre, telefoniert er lauthals ganz sicher nicht mit Mutti. Warum bitte schön haben die Empfang, während ich mich wie ein Steinzeitmensch im Rauchzeichen geben üben müsste?

Rechts von mir ein älteres Pärchen. Sie sieht aus, als ob sie die letzten 25 Jahre in genau dieser Stellung an genau dieser Stelle nichts anderes gemacht hätte, als in der Sonne zu liegen. Abgesehen von dem fast unnatürlich aussehenden Braun ihrer Haut, dem „Belzig-blond“ in den Haaren und dem geradezu steril wirkenden weißen Bikini, fällt besonders die extreme grelle Schminkparade im Gesicht auf. Und die vermutlich 15 cm lange, sehr dünne Zigarette. Ihr Gatte beschränkt sich darauf, den jungen Mädchen hinterher zu gaffen.

Mir natürlich nicht. Jung war mal. Mädchen auch. Jetzt eher Furie, weil mein Handy mir nun auch noch erklärt, dass es ohnehin zu wenig Energie hätte, um irgendwas irgendwohin hochzuladen. Na prima.

Rutscht mir doch den Buckel runter und denkt, ich bin auf dem Mond zum dauerschlafen. Sieht eben keiner, wie ich mir im Sand die Finger wundbuddle, beim Rettungsversuch meines Kindes vom Kletterturm halsbrecherisch auf der zweiten Etage rumkreple oder etwa hundertmal mit dem kleinen gelben Plasteeimer den Sandkasten unter Wasser setze, weil wir jetzt unbedingt venedig-like Kanäle und Brücken zimmern. Mache ich eben … ähm …





... Urlaub.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Erkenntnis

Ruhe.

Noch immer Ruhe.

Das Tageslicht wird immer schwächer und ich kann kaum noch Details im Zimmer erkennen. Ich liege ganz still und höre meinen Atem. Es ist fast eigenartig, dem so zu lauschen.

Er hat gesagt, ich soll mal runterschalten. Mal ein paar Minuten am Tag in einer Art Meditation in mich selbst hineinhören. Na, einen Versuch ist es wert. Denke ich. Denken ist so ein Ding. Mein Ding. Zu sehr mein Ding und viel zu oft.

Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine solche Ruhe "gehört" oder gespürt habe. Fast unheimlich. Als könnte ich sämtliche Fristen, Termine, Probleme und Ängste der letzten Monate nicht mehr schreien hören. So, dass ich fast denke, ich bin nur zu taub, dass ich sie nicht hören KANN.

Ich wusste fast nicht mehr, dass es sowas gibt.

Die letzten Monate waren übervoll mit Arbeit und dem Zwang, ständig irgendwas zu tun. Arbeit hier, Arbeit dort. Familie hier, Familie dort. Ich habe mich selbst nicht mehr gesehen. Ging verloren. Wie ein altes, zerschlissenes Kuscheltier, dem das Kind entwachsen ist.

Ich habe mich fast zwanghaft mit den verschiedensten Dingen - neben Arbeit und Familie - von mir selbst abgelenkt. Keine Chance gelassen, der wachsenden Überforderung und den Hilferufen der Seele und des Körpers Gehör zu geben. Spielte, um die Gedanken daran von mir zu halten. Arbeitete, um mich nicht selbst zu hören. Redete mit anderen über andere, um nicht über mich nachzudenken. War froh über jede Art der Ablenkung, die eine Konfrontation mit mir selbst zu vermeiden. Ich bin nicht mal mehr dazu gekommen, zu schreiben. Nicht weil Gedanken fehlten oder Einfälle. Nein, die Zeit fehlte. Oder besser, ich gab mir die Zeit selber nicht. Auseinandersetzung mit sich selbst ist nämlich irre anstrengend. Vermeidung sollte übertünchen.

War super erfolgreich.

Vermeintlich.

Und plötzlich sitzt jemand vor dir, der dir genau davon erzählt, wie du dich fühlst. Nur, dass er von sich redet. Und was das mit dir machen kann, wenn du nicht auf die Signale hörst. Plötzlich kommt eine Erkenntnis, die in den letzten Monaten eigentlich immer da war, der du nur den Mund verboten hast. Der du durch Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit - durch fast chronische Überforderung, über Nächte mit durchwachten Gedanken, über Sorgen in beruflicher und persönlich-familiärer Hinsicht widerstanden hast. Aber irgendwann muss man dieser Erkenntnis den Raum geben, den sie braucht.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem man so nicht weitermachen kann. An dem man einsieht, dass das Leben am Limit nicht mehr funktioniert und an dem man vor allem einmal vor Augen geführt bekommt, was passieren kann, wenn man es weiter ignoriert. Diese Erkenntnis traf mich heute fast so schlagartig, wie die Sonne meine bürogebräunte Haut.

Fragt sich jetzt nur noch, was ich daran ändern kann.

Dienstag, 4. März 2014

So gar kein Pilzomelette

Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengrube breit und setzt einen der unguten Gedanken frei, die man lieber ganz tief in sich vergräbt. 

Den Gedanken an die potenzielle Gefährlichkeit meines Jobs.

Gerade liefen die Nachrichten von dem Amok in zwei Anwaltskanzleien in Düsseldorf und Erkrath über den Ticker und die Bilder von Überfällen in der Kanzlei oder Schießereien im Gericht laufen vor meinem geistigen Auge ab. Zwei Anwälte sind inzwischen tot und eine Anwaltsgehilfin dazu. Und das nur, weil sich einer von der Anwältin schlecht beraten fühlte – deshalb sie und ihren Kollegen in Düsseldorf umbrachte und anzündete - und dann auch noch den umnieten wollte, an den er von der Anwältin verwiesen worden war. Nur hatte der offenbar Glück und war gar nicht in der Kanzlei, weil seine handwerklich absolut unterbelichtete Gattin einen Schrank aufgebaut haben wollte und der Anwalt daher den Schraubenzieher schwang, statt des Schutzschildes. Dann musste eben die Anwaltsgehilfin dran glauben. Der Kompagnon scheint zu überleben.

Man verzeihe mir meinen sarkastischen Unterton. Der ist notwendig, um die Tragik und die sich einschleichende Angst um das eigene Leben zu ertragen.

Ja, klar. Das ganze Leben ist gefährlich. Man kann auf dem Gehweg von einem irren Autofahrer, der grad ein ganzes Bushäuschen niedermäht, umgenietet werden, kann aus dem Fenster fallen, durch Passivrauchen Lungenkrebs kriegen – vom Aktivrauchen gar nicht zu reden (ich hoffe, ich höre mich nur wegen inzwischen 8 Jahren Abstinenz nicht wie ein militanter Nichtraucher an) – versehentlich Knollenblätterpilze naschen oder besser diese dem lieben Ehegatten als Pilzomelette so leicht vorsätzlich servieren und man kann von der Teppichkante springen. Alles gefährlich. Schnellstens kann es vorbei sein.

Doch es gibt Szenarien, die da nicht so reinpassen. Und dazu gehört die Gefährlichkeit des Anwaltsberufs.

Nun bin ich nicht beim Bombenräumkommando oder sowas. Obwohl, manchmal hat man schon das Gefühl, wenn die Kindesmutter mal wieder den Umgang mit dem Kind komplett verweigert, sich die Beschimpfungen – vorzugsweise über whatsapp (und nein, ich beginne jetzt nicht mit einer Schimpftirade auf Facebook und whatsapp oder die kapitalistische Einverleibung weitere Milliarden Kontakte und deren Inhalte) – ins Unermessliche steigern oder Papa mal wieder eigenmächtig den Unterhalt kürzt, weil er mit dem Sohnemann gerade an einem Nachmittag im Kino war und die Mutter ja deshalb kein Essen für's Kind kochen musste.

Aber solche gezielten Übergriffe und Angriffe auf Anwälte schockieren und sind doch ein ganz anderes Kaliber. Was treibt einen Menschen dazu, 3 Menschen zu töten, die direkt oder indirekt für den Mörder tätig waren und seine Interessen vertreten sollten?

Ich selbst habe mich nach dieser und auch nach den vorhergehenden ähnlichen Vorfällen selbst dabei ertappt, Mandanten nach Gefährdungspotenzial einzustufen. Da stellt man sich schon die Frage, wer vor der Tür steht, wenn man mal allein in der Kanzlei ist oder ob der eine oder andere Beteiligte – von mir aus auch der von der Gegenseite – im Gerichtssaal plötzlich austickt, weil er zu viel Unterhalt zahlen soll oder einfach mit seiner Ansicht keinen Eindruck beim Richter schinden kann.

Wie sehr ist man selbst bedroht? Was trägt man dazu bei, dass solche Menschen womöglich derart überreagieren? Und: Wie kann man sich schützen?

Ich kann doch keine Schleuse vor meine Kanzleitür bauen, die Mandanten nur noch hinter Sicherheitsglas empfangen oder mit kugelsicherer Weste ins Gericht gehen. Im Grunde ist doch die Türklingel das Einzige, was zwischen mir und den Mandanten steht, die bei mir Rat und Unterstützung suchen. Sicher suchte auch der Täter von Düsseldorf zunächst danach.

Aber man kann nicht immer gewinnen – selbst wenn man es wollte und man kann es dem Mandanten nicht immer recht machen. Vor allem gibt es Mandanten, denen kann es keiner recht machen. Da hat man verloren, bevor der Mandant zur Türe reinschaut. Absolut nicht geschlechtsspezifisch gemeint. Da ist „ich zahle die Rechnung nicht“ noch vergleichsweise harmlos.

Sicherlich ist jeder Beruf gefährlich und nichts lässt sich so vorausplanen, dass man jede Gefährdung ausschließen kann. Leben (oder der Tod) ist doch das, was passiert, während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu machen.

Das ist eben das Berufsrisiko. 

So kann man alle Ängste und Befürchtungen auf 25 Buchstaben reduzieren. Das Loch in meinem Magen wird dadurch nicht kleiner. Schon gar nicht, da ich jetzt aufstehe, meine Tasche packe und zur nächsten Scheidungsverhandlung ins Gericht fahre. 

Die Angst fährt (irgendwie) mit.

Dienstag, 18. Februar 2014

Beobachtungsposten

Haben Sie schon einmal früh am Morgen bei McDonalds gesessen? Es ist kaum halb neun und ich tue das gerade jetzt. Also nicht JETZT, wo Sie das lesen, sondern an diesem kühlen Dienstagmorgen in einem Winter, der keiner ist.

Bewaffnet mit einem riesigen Kaffee habe ich mir auf dem Weg zu einem Gerichtstermin ein gemütliches Eckchen gesucht und sogar eines mit Sessel gefunden. Ich bin mal wieder heillos zu früh dran.

Ich beobachte. Habe gerade nichts anderes zu tun. Wo kann man auch bessere Studien betreiben als bei McDoof? Die Klientel scheint aus nur zwei großen Strömungen zu bestehen. Das eine sind ganz offenbar Singlemänner zwischen 25 und 35, die in Ermangelung einer Freundin oder Mutter zur frühmorgendlichen Zeit zu blöde sind, sich einen Kaffee zu kochen oder den Toast in dieses elektrische Gerät zu stecken. Das andere sind junge Familien. Okay, es sind Schulferien und da macht man mal was "Besonderes" mit den Kids, auch wenn es sich dabei nur um schlabbrige Brötchen mit künstlichem Rührei darauf handelt. Die Zahl der Familien ist erschreckend hoch. Und das im absoluten Niemandsland zwischen Leipzig und Halle.

Während ich an meinem Kaffee nippe - schlabbriges Weizenbrötchen verbietet sich angesichts meiner Zuckerdiät natürlich - wandert draußen die dritte Bevölkerungsgruppe an dem Laden vorbei ins angeschlossene Einkaufszentrum. Die Rentner. Mein Gott, hält die denn nix in ihren Betten? 



Fast besitzergreifend haben sie den Einkaufswagen vor ihren gleichaltrigen Verfolgern ergattert und schieben ihn jetzt triumphierend zum Eingang. Dabei schweifen ihre Blicke tatsächlich zu McDoof rüber und ich kann es durch die Fensterscheibe geradezu riechen: "Schau mal, Berthold. Diese vermaledeite Jugend kann nicht mal mehr Frühstück machen und lungert schon morgens hier rum." "Ja, Erna. Unser trockenes Marmeladenbrot mit dem dünnen Kaffee war natürlich viel besser als das da." Amüsiert fällt mir auf, dass ihr missbilligenden Blicke auch mich strafen. 'Danke für die "Jugend"', denke ich mir und grinse über mein inneres Zwiegespräch zur Generationenproblematik. Wenn die in ihrer Jugend schon McDoof gehabt hätten - und das nötige Kleingeld dafür - hätten die morgens um halb neun auch schon hier rumgesessen. Irritierenderweise hatte ich vorhin selbst darüber schwadroniert, warum so viele hier sind. Und in den Augen der beiden Alten, die gerade vorbeigelaufen sind, gehöre ich doch zur vermaledeiten Jugend. Kommt eben immer auf die Perspektive an.

Vielleicht sollte ich mir ein Blatt an die Stirn pinnen. "Beobachtungsposten" steht drauf. Damit die Anderen wissen, dass ich keiner der McDonalds-Junkies bin. Aber warum nur? Warum ist es nur so wahnsinnig wichtig zu demonstrieren, dass man hier oder dort nicht dazugehört? Während man sich innerlich von der einen oder anderen Gruppe oder Szenerie abgrenzt, gehört man für andere einfach dazu.

Die neue Familie an meinem rechten Nebentisch fällt voll ins Klischee. Während Muttern stoisch vor sich hinblickend in ihren Burger beißt und dabei so aussieht, als ob sie hier wohnt, motzt der Papa in tiefstem Hallenser Dialekt seinen etwa 9jährigen Sproß an: "Ey, Meiner! Wenn de niche stille sitzt, schmeiß mir glei das Bröddchen über'n Tisch." Fasziniert angewidert starre ich den Typen an. Ich bin mir nicht sicher, ob der schon mal mit Messer und Gabel gegessen hat und noch auf dem Baum wohnt. Am liebsten stünde ich jetzt auf und würde ihm in grammatikalisch korrektem Deutsch sein Brötchen in den Rachen stopfen. Gleichzeitig möchte ich weit weg sein. Ich gehöre nicht dazu. Nein. Und als das nächste Rentnerpaar, dass draußen mit dem frisch gekaperten Einkaufswagen vorbeizieht, strafende Blicke hereinwirft, möchte ich am liebsten rausbrüllen: "Ey, Meine! Und wenn ihr nicht gleich schneller lauft, schmeiß' ich das Brötchen über'n Tisch!" Ach, Mist. Ich habe ja gar kein Brötchen.

Na, dann stehe ich eben auf. Und gehe einkaufen.

Dienstag, 11. Februar 2014

Folgen

Als ich mit dem Bloggen anfing, hatte ich mir geschworen, immer nur über bestimmte Themen pro Blog zu schreiben. Themen, die mich interessierten und beschäftigten – egal ob in positiver oder negativer Hinsicht. Ich wollte nie einer dieser Blogger sein, der ständig nur schreibt, was er am Tag alles so macht. Ich wollte nie zu denen gehören, die den ohnehin nur halbwegs geneigten Leser damit anödet, dass ich ihm erzähle, wieviele Bröckchen von meinem Brötchen gerade abgefallen sind und wieviel Prozent davon unter dem Tisch gelandet sind. Dies unabhängig davon, dass ich gar keine Brötchen esse, weil ich *die Blaskapelle spielt bitte jetzt den Tusch* schon seit gut 6 Monaten gar kein Brötchen esse – abgesehen von den zahlenmäßig unbedeutenden Sünden des Bratwurstessens, die nunmal dummerweise im Brötchen daherkommt. 

Das fehlende Brötchen liegt natürlich an meiner Schwangerschaftsdiabetes. NEIN, ICH BIN NICHT SCHWANGER! Ich war mal. Ist schon was her. Damals hatte ich eine Schwangerschaftsdiabetes. Das führte aufgrund der passenden Diät dazu, dass ich am Ende der Schwangerschaft genausoviel wog wie am Beginn. Als der Krümel dem mütterlichen Bauch entfleucht war und auch der Rest das Weite gesucht hatte, was man da so in der Vorzeit ansammelt, fehlten mir auf einmal 16 Kilo. Dummerweise haben diese fiesen Kilos den Weg später wieder zu mir gefunden. Und jetzt mache ich eben wieder Schwangerschaftsdiabetesdiät, ohne schwanger zu sein. Und feiere die mittlerweile 14 Kilo weniger jeden Tag ein kleines bisschen.

So, ich schweife ab.

Ich wollte also nie zu den Bloggern gehören, die tagtäglich stinklangweilig von ihrem ach so aufregenden Tag erzählen. Das hatte ich mir am Anfang vorgenommen. Hat ja super funktioniert. Anderthalb Monate lang. Super! Glückwunsch!

Mein Tag begann also damit, dass ich durchschlief *Tusch*. Bis kurz nach sechs, als der Krümel mir fröhlich trällernd durch das Babyphone mitteilte, dass er jetzt wach sei. Mit dem unvergleichlichen Schwung einer Achtzigjährigen rollte ich aus dem Bett. Kaum dass ich stand, bemerkte ich den Stacheldraht um meinen Hals. Und wehe ich schluckte – da wurde der Draht noch ein wenig fester um meinen Hals gezogen. Ja, toller Tage heute, denke ich mir. Hätte ich da die Kopfschmerzen schon gehabt, die sich dummerweise erst 2 Stunden später dazugesellten, wäre ich wohl gleich wieder ins Bett gegangen.

Ich schlurfe rüber ins Kinderzimmer und mir wird mit generalstabsmäßiger Anordnung erklärt, dass der junge Mann heute im Kindergarten frühstücken möchte. Wird ja immer besser; denn das heißt: im Akkord Frühstück vorbereiten, alle Sachen irgendwie zusammenwerfen und innerhalb von 45 Minuten das Haus verlassen. Heißt im Umkehrschluss: keinen Kaffee für mich, von Frühstück ganz zu schweigen. Aber mein Hals würde im Augenblick eh nix akzeptieren. Also, Augen zu und durch.

Der Tag wurde kurzzeitig besser. Weil ich so zeitig dran war, habe ich meine Einkäufe vor der Arbeit erledigt und einen etwa zehnjährigen Jungen für den Rest des Tages glücklich gemacht, weil ich ihm 3 Packungen dieser doofen Fußballsticker, die der Laden derzeit als Aktion führt, schenkte. Und dann, weil ich den Postbooten reinließ, der vor dem Büro stand und verzweifelt alle Klingelknöpfe durchtestete, ohne dass sich einer erbarmte, ihn reinzulassen. Ich tat es und der bedankte sich dreimal dafür. Sehr putzig.

Doch dann warf ich einen Blick in meinen Kalender. Zunächst erfreut, weil sich da nur ein Besprechungstermin fand und das gleich früh, dann etwas ernüchtert, weil es sich um eine uralte Sache handelt, die damals mit viel – auch medialem – Gewitter einher ging.

Die Mandantin, die da kurze Zeit später anrückte, kam vor etwa 10 Jahren das erste Mal in unsere Kanzlei. Sie war erst ein halbes Jahr verheiratet, der kleine Junge war gerade 4 Monate alt geworden. Sie hatte ihren Mann im Internet in einem dieser Chatrooms kennengelernt und kaum 1 Monat später wohnten sie bereits zusammen. Allerdings waren die beiden unterschiedlicher als Pat und Patachon. Er introvertiert und verklemmt, sie viel jünger, lebenslustig und – sagen wir mal – dem Rest der Welt gegenüber sehr aufgeschlossen.

Kaum verheiratet und Eltern, begannen die Probleme und innerhalb von 3 Monaten beschloss man, sich zu trennen. Sie fuhr über das Wochenende zu ihrem neuen Freund, er passte auf das Kind auf. Folgenschwer. Infolge von Überlastung und fehlender Unterstützung für ihn sowie in einer Art Blackout schüttelte er das schreiende Kind über eine Minute so kräftig, bis es ruhig wurde. Vermutlich hatte der vorher noch nie was vom Schütteltrauma gehört. Den Ärzten gelang es, dass der Kleine überlebte, aber die Schädigungen waren so schwer, dass er bis ans Lebensende ein Schwerstbehinderter bleiben würde. Nie würde er über den Status eines Dreijährigen hinauskommen. Nie würde er singen, toben und tanzen können. Wir vertraten sie anwaltlich und regelten alles, was zu regeln war. Etwa 3 Jahre später verzog sie nach Bayern und ich sah sie nicht wieder. Auch das Kind nicht.

Bis heute. Heute kam sie und brachte das Kind mit. Der Kleine ist inzwischen fast 10 Jahre alt und ist ein richtig großer Junge geworden. Und heute geschah es dann, dass mir wieder schlagartig vor Augen geführt wurde – und das im wahrsten Sinne des Wortes – was Taten für Folgen haben können. Für immer an den Rollstuhl gefesselt, nicht in der Lage, ein Wort zu sagen und sich nur mit mit Schreilauten verständigen könnend, muss er mit einem Nuckel ruhiggestellt werden, wenn er sich in einer ungewohnten Umgebung mit unbekannten Leuten befindet und sich offenkundig daher unwohl fühlt. Die Augen aber, so unterschiedlich die Blickrichtung der beiden war, zeigten irgendwie eine Art von Anteilnahme an dem Geschehen um ihn herum, auch wenn ich überhaupt nicht weiß, was er tatsächlich bewusst aufnehmen kann und was nicht.

Dieses Kind hatte keine Wahl, welches Leben es führen darf. Er wurde nicht gefragt, ob er es toll finden würde, als gesund geborenes Kind im Alter von 4 Monaten zum Schwerstbehinderten gemacht zu werden. Er hat keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern und ist gefangen in sich selbst. Und was mich noch heute auf die Palme bringt, ist der die Schuld abstreitende Vater, der es ach so schwer hatte. Den Kleinen hat er nach der Tat kaum noch gesehen, Umgang gibt es seit 8 Jahren keinen. Unterhalt zahlt er mehr schlecht als recht. Er legte sich lieber eine neue Frau und ein neues Kind zu und spielt jetzt heile Welt. Manchmal wünscht man sich Waffengesetze wie in den USA.

Ich meine, wir machen uns bei bestimmten Alltagshandlungen keine Gedanken darum, was diese auslösen können. Wäre bei der einen oder anderen Tat auch ziemlich dämlich, denn was macht es, wenn ich die Gurke am Gemüsestand eben nicht in meinen Korb packe. Oder doch. Aber ab und an sollten wir mal darüber nachdenken, was wir da eigentlich tun und was das für Folgen haben kann.

In dem Sinne.

Samstag, 8. Februar 2014

Trauriger Äppelwoi

Ich hasse diese Küchenuhr. Nicht nur, weil sie eine dieser vorsintflutlichen, hässlich-roten Dinger ist, die ständig stehen bleibt und immer kurz vor der Entsorgung völlig penetrant weiterläuft oder weil sie noch penetranter laut tickend die Stille der Küche durchbricht.

Nein, ich hasse sie, weil sie – sofern sie mal geht – einfach so Scheiße ehrlich ist.

„Mama, wie spät ist es?“ würde mein Vierjähriger jetzt fragen. „Schau mal mein Schatz. Der große Zeiger da, der Minutenzeiger ist auf dem Weg von einer vollen Stunde zur anderen, also von der Zwölf zur Zwölf eine halbe Runde rum und steht auf der Sechs. Und der Kleine, der Minutenzeiger ist von der Zwei auf dem Weg zur Drei. Wie spät ist es?“ Er würde jetzt den Finger steil aufrichten, um die Luft anzupieksen, würde die Augen weit aufreißen und mit äußerst wichtiger Miene sagen: „Mama, es ist acht Uhr!“

„Ja, mein Schatz.“ Widerstand ist zwecklos.

Aber er fragt jetzt nicht. Er liegt ganz still in seinem Bettchen und schläft. Den Schlaf der Gerechten, den Schlaf der Kinder, die sich noch um nichts Gedanken machen müssen. Den Schlaf, den man schlafen darf und sollte.

Mein Schlaf hat sich vorläufig erledigt. Die Dampfmaschine nimmt Fahrt auf, denn die Ereignisse des Tages haben ihre Spuren auf dem Keilriemen hinterlassen.

Fühle ich mich verraten? Nein, verraten nicht. Oder? 

Allein gelassen? Irgendwie schon. Ohne auch nur die geringste Schuldzuweisung geben zu können. Oder zu wollen. Oder zu dürfen.

Habe ich etwa Angst mein Vertrauen zu verlieren? Hoffentlich nicht!

Mit dem Vertrauen ist das nämlich so eine Sache. Bei mir. Unsere schnelllebige Zeit ist geprägt von Annehmen und Wegwerfen. Nicht nur zermatschte McDonalds-Verpackungen, die ruckzuck über den Ladentisch gehen, deren Inhalt mindestens genauso schnell und gierig in des Käufers Magen verschwindet und die dann achtlos auf die Straße geschmissen werden. Oder die neueste Lieblings-Bluse, die nach 5 Wochen nicht mehr mit dem Hintern angeschaut wird; auch wenn man sich selbige mitnichten über den Hintern zieht. Alles ist austauschbar, alles Neue ist besser als das Vorherige. In Lichtgeschwindigkeit werden Wohnungen, Städte, Freunde und Ehepartner ausgetauscht. Angeschafft und abgeschossen.

Bis zu einem bestimmten Punkt geht einiges. Vieles vielleicht. Nicht so beim Vertrauen. Vertrauen ist etwas, was ich nicht so leicht aufbaue. Zu viele Enttäuschungen, zu viele Verletzungen, zu viele Arschtritte von vermeintlich Vertrauten. Vertrauen ist das Kryptonit meines Lebens.

Ich habe Bekannte und Freunde. Sicherlich lässt es sich nicht vermeiden, dass diese kommen und gehen. Einige kommen, um zu bleiben. Ohne, dass sie anfangen wie Fisch zu stinken. Andere schaffen es nicht mal über die erste Base. Aber selbst im Freundeskreis existieren nur sehr wenige, denen ich vertraue. Genau gesagt: zwei.

Zwei, denen ich bedingungslos vertraue. Die mehr von mir wissen, als ich wahrscheinlich von mir selber. Und diese beiden sind mehr wert, als eine ganze Horde von „Freunden“, die keinen blassen Schimmer von meinen Ängsten und Sorgen haben. Und es vermutlich auch nicht haben wollen. Und was bringt mir bitte so ein beklopptes oberflächliches Gefasel über die Falschheit unserer Politik und Arbeitslosigkeit, Stress und was weiß ich, wenn ich denen nicht mal ansatzweise sagen kann, dass ich mich beschissen fühle. Nichts. Darum brauch ich das auch nicht. Nur diese beiden.

Und dann gibt es einen Dritten. Kein Freund - irgendwie. Eher ein Bekannter. Aber ein Vertrauter. Einer, der sich mein Vertrauen in den letzten Jahren Stück für Stück erworben hat. Mit schonungsloser Ehrlichkeit, aber auch mit trockenem Humor und viel Reden. Und dem Gefühl, dass es ihm in weiten Teilen wichtig ist. Ich weiß noch, dass ich bei unserer ersten Begegnung dachte 'Oh, Gott. Wat für ein Schnösel.' Er kam damals um die Ecke geclogt und fuhr sich mit einer Hand durch das strohblonde Haar. Ein Scheinender – so sah es aus. Das da viel mehr drin steckte, merkte ich erst im Laufe der Zeit. Heute mag ich mir bestimmte Dinge ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er hat mir Sicherheit und Halt gegeben. Und das in einer Sache, die mich im tiefsten Innern bewegt und für mich das Wichtigste in meinem Leben ist. Einer Angelegenheit, in der mir oft Unterstützung und Reden fehlte. Helfendes Reden. Insider-Reden.

Und das soll jetzt wegbrechen? Soll einfach – zunächst rein räumlich – nicht mehr da sein? Es wird nicht mehr das Gleiche sein, wird sich verändern. Und ich habe Angst, dann irgendwann ohne diesen Dritten zu sein. Vielmehr ohne das Vertrauen. Weil einfach die Entfernung für eine Entfremdung sorgen könnte. Natürlich haben wir in dieser Entscheidung – weder positiv, noch negativ – eine Rolle gespielt. Dazu sind wir für das private Leben einfach nur unwichtig. Aber es fühlt sich in negativer Hinsicht irgendwie so an. Und das, obwohl diese Entscheidung ganz sicher gut und richtig ist. Vermutlich hätte ich sie in rein objektiver Hinsicht auch getroffen. Vielleicht schon viel eher. 

Das ändert aber für mich nichts. Das Gefühl der Leere, der Enttäuschung und des Verlierens bleibt. Who the fuck is Frankfurt??? Da gibt es doch nur Äppelwoi. Traurigen Äppelwoi.

Und während die Küchenuhr enervierend vor sich hin tickt, hämmere ich auf die Tasten meines Schläpptopps ein. Und verarbeite. Aber die Nachtstunden sind gut, um die Gedanken zu ordnen. Und, um zu schreiben.

Sonntag, 2. Februar 2014

Voodoo

"Ich habe da was gelesen."

Also ehrlich! Es gibt Sätze, da könnte jeder Anwalt zum Meuchelmörder werden. Und: "Ich hab da was gelesen", kommt unmittelbar nach dem Telefonanrufbeginn eines völlig Unbekannten: "Ich hab mal 'ne Frage."


Und dabei war dieser Mandant mir ursprünglich nicht unsympathisch. Leider hat mich mein erster Eindruck getäuscht. Nach etlichen Berufsjahren kann ich eigentlich Ärger und anstehende Aktenbearbeitungsfrustration förmlich riechen, wenn der Neu-Mandant zur Erstberatung an der Kanzleitür an mir vorbeischwebt. Vor heute hat das nur einmal nicht funktioniert, aber das ist ein anderer Blog.


Hier nicht. 


Vermutlich ließ ich mich von diesem unschuldig-traurigen Blick und dem zurückhaltenden Wesen irritieren. Oder davon, dass der sich eine Frau aus dem Urlaub mitgebracht hat (einem Urlaub, wo man lange, sehr lange im Flieger sitzt), diese noch dort heiratete, sie mitbrachte, gleich ein Kind kam und sie sich - in Gewissheit seines enormen Einkommens - nach anderthalb Jahren Ehe ins Frauenhaus absetzte und horrende Unterhaltsforderungen ausrief. Kluges Mädchen. Gehörnter Ehegatte. Ich hatte Mitleid nach so viel fraulicher Popo-Haue.


Das änderte sich in der zweiten Besprechung.


"Ich habe da was gelesen."


"Aha." Und schlagartig wird mir klar, wie verhängnisvoll die nächsten anderthalb Stunden werden. Und wie anstrengend. Ich weiß genau, dass ich die nächste Frage nicht stellen will und lieber wegrennen sollte. Aber das geht grad schlecht. "Was haben Sie denn gelesen?"


"Ich habe ein wenig im Internet recherchiert (*DA war es wieder*) und gelesen, dass der Trennungsunterhalt wegen der kurzen Ehe auch ausgeschlossen werden kann." Ah, er entpuppt sich als kleinkarierter Geizkragen, der einer Ausländerin erstmal ein Kind anbaut und sie dann im Frauenhaus versickern lassen möchte.


"Nein, tut mir leid. Die Vorschrift des § 1579 Nr. 1 BGB ist nicht auf § 1361 BGB anwendbar. Steht da im Absatz 3." "Was ist mit denn mit den anderen Nummern?" Wir gehen eine dreiviertel Stunde jede Einzelne der sieben weiteren Nummern durch. Ich stöhne innerlich vor so viel Pedanterie.


"Und außerdem bekommt sie Betreuungsgeld, das muss doch als Einkommen angerechnet werden." "Betreuungsgeld? Was meinen Sie mit Betreuungsgeld? Elterngeld, Landes- oder Bundeserziehungsgeld oder DAS Betreuungsgeld?"


"Ich meine das Betreuungsgeld, dass es seit dem 01.08.2013 gibt, wenn man sein Kind nicht in die Einrichtung gibt, sondern zu Hause bleibt. Sie sollten sich dahingehend unter Umständen weiterbilden." Langsam bekommt er Ähnlichkeit mit dem Johnny aus dem Johnny-Cab von Total recall.


"Das brauche ich nicht. Ich habe nur gefragt, weil manche Mandanten die Begrifflichkeiten verwechseln und Kindergeld für Kindesunterhalt, Erziehungsgeld für Betreuungsgeld und Betreuungsgeld für Betreuungsunterhalt halten. Ich wollte nur sichergehen, dass wir von demselben reden. Eine Weiterbildung brauche ich dafür nicht. Aber danke für den Hinweis." Ich kotze gleich und strecke meine imaginäre Hand nach seinem Hals aus.


"Und bezüglich der Krankenkassenkosten gibt es komplett unterschiedliche Auffassungen von Ihnen und der Gegenseite und ich möchte auch hier die Gesetzeslage mit Ihnen durchgehen." Meine imaginäre Hand schließt sich fester um seinen blassen Hals. Eine weitere halbe Stunde vergeht.


Und dann kommt der persönliche Tiefschlag. "Mir wäre wichtig, dass Sie sich bei der Kommunikation mit der Gegenseite auf einen formal hinreichenden Stil reduzieren. Der kollegiale Kram trägt nichts zur Sache bei. Bitte nur Fakten." Und das, wo ich immer so stolz auf (die meisten) Schriftsätze bin, die weder Schlammschlachten schlagend, noch emotional-triefend sind. Außer in Umgangs- und Sorgerechtssachen, zugegebenermaßen.


"Das mache ich doch immer. Was soll ich denn anders machen?"


"Sie sind doch der Anwalt." 


Ich überlege, welche Materialien ich auf die Schnelle in meinem Büro finde, aus denen sich eine Voodoo-Puppe nach gegenübersitzendem Vorbild bauen ließe, in die ich dann meine riesige Büroschere, genüsslich wie Jim seine Finger im Apple-pie, versenken kann.





Und gleichzeitig hoffte ich, dass der Typ da vor mir kein Betazoid ist.


Während er noch vor sich hin grummelnd meine Unterhaltsberechnung wie eine bittere Pille runterschluckt, erstelle ich vor meinem geistigen Auge die Gebührenrechnung und was ich mir davon schickes kaufen werde. Der Tag wird besser.

Dienstag, 28. Januar 2014

Ab auf den Mars

Es gibt Entscheidungen im Leben, die willst du nicht treffen. 

Also nicht etwa, weil du nicht weißt, wie du dich entscheiden sollst ... nicht so wie im Restaurant. Da sitze ich vor der Speisekarte und bin zunächst hoch erfreut, wenn sich diese nicht auf 5 leidlich geschmackvoll-klingende Gerichte beschränkt. Doch je länger ich auf die Seiten mit den vielen Buchstaben glotze, desto unentschlossener werde ich. Und wenn ich 30 Minuten und ein Glas Wein später noch immer nicht weiß, was ich essen soll, verfluche ich diese elendig lange Speisekarte und wünsche mir eine, die nur 5 leidlich geschmackvoll-klingende Gerichte enthält. Und bestelle erstmal noch ein Glas Wein.

Nein, solche Entscheidungen sind die berühmten Peanuts. Ja, gut in dem Augenblick nicht, wenn der Kellner zum dritten Mal an den Tisch gerammelt kommt, Augen drehend wieder abziehen muss und das Männel schon das große Grinsen bekommt, weil er ganz genau weiß, wie überfordert ich in dem Moment mit meinen kulinarischen Gelüsten bin. In diesem Moment sind das essentielle Entscheidungen. 

Aber im großen Kontext eben nicht. Die Entscheidungen, die ich meine, betreffen persönliche Haltungen und Handlungen. Das hat nichts damit zu tun, dass man nicht weiß, was man tun soll. Es hat was damit zu tun, dann man GENAU weiß, was man NICHT tun und sagen sollte, man selbst aber unter dem Zwang steht, es anderen recht zu machen oder recht machen zu wollen; wohl wissend, dass man es zwei gegnerischen Seiten, die beide beides von einem erwarten, eben nicht recht machen kann. Eine Zwickmühle, in der ich nur alles falsch machen kann, was falsch zu machen geht. Und selbst der Deckmantel des "ich-will-doch-nur-helfen", hilft nicht darüber hinweg, dass einer von beiden beleidigt ist und sich benachteiligt fühlt. Und im worst case sind beide Seiten beleidigt und fühlen sich benachteiligt. Das ist dann mal echt töfte. Was macht man in solch einer Situation?

Ich präferiere die Vogel-Strauß-Taktik. Mit ein paar mehr äußerst zahlungskräftigen Mandanten würde ich die nächste Mars-Fähre buchen und dort warten, bis Arnie die Glubbschaugen aus den Höhlen treten und ich ihm die totale Erinnerung vernebeln kann. Oder eben John Carter vorbeikommt, der so schön hüpfen kann. Leben die eigentlich in der gleichen Zeitzone?

Irgendwie scheint das aber nicht zu funktionieren - auch die Ablenkung mit Arnie und John klappt nur temporär. Ich sollte doch eine dieser bekloppten online-Petitionen starten und mich beschweren, dass ich rund 400 Jahre zu früh auf die Welt gekommen bin. Vielleicht hilft es ja. Dann hätte ich diese elende Dilemma jetzt nicht an der Backe. Aber vielleicht James T.? Das wiederum wäre sowas von töfte!

Es gibt Entscheidungen im Leben, die willst du nicht treffen. Aber du musst. Wohl wissend, dass der Selbstschutz schwerer wiegt, als das helfen-wollen.

Ich fürchte, es hilft nur ein Totalangriff auf alle Fronten. Ich muss hoffen, dass sich der collateral damage in Grenzen hält und mein Herz Schrägstrich Gewissen hinterher nicht aussieht wie die Front in der Normandie anno '44. Nur ein Klarstellen meiner Position in dem Drama hilft mir zu überleben und vor allem, keinen anderen vor den Kopf zu stoßen. RAUSHALTEN! Ohne jedes Wenn und Aber.

Oder eben doch der Mars. 

Beam me up, Scotty!
(jaja, ich weiß. Der wohnt nicht auf dem Mars!)

Freitag, 24. Januar 2014

Hochzeit mal drei

Ich habe immer gesagt, dass ich später mal meine Memoiren schreiben würde. Glücklicherweise setzte Mr. Licklider dem vorher das vielgepriesene Internet entgegen, so dass ich die ganzen Geschichten nunmehr bloggend erzählen kann.

Mein Beruf hat naturgemäß viele tragische Geschichten von enttäuschten Erwartungen, prügelnden Eltern, traurigen Kindern und geplünderten Konten parat. Aber manchmal kommt ein Mandant daher wie ein Sonnenstrahl durch die Wolken, der das Leben des Anwalts äußerst nachhaltig erheitern kann.

Ein solcher saß völlig unschuldig vor sich hinguckend an einem Sommertag vor mir.

Er hatte mich vor ein paar Monaten in einer Unterhaltsangelegenheit betreffend 2 seiner 4 Kinder mandatiert. Diese lebten bei seiner Ex-Frau irgendwo in den Gebrauchten. Er war gebürtiger Bayer, klein und knuckelig und arbeitete auf dem Bau. Ich bin mir aber sicher, dass er kein Zimmermann oder Trockenbauer war, denn er machte den Eindruck, dass er schon unter der Last eines Zollstocks körperlich zusammenbrechen würde. Irgendwie so ein Pinocchio-Typ - klein, hölzern und außer einer Nase nicht viel Leben drin.

Jedenfalls: nach der Trennung zog er mit den anderen 2 Kindern aus seiner Ehe nach Leipzig, hatte eine neue Lebensgefährtin, die ihrerseits 2 Kinder aus einer vorigen Beziehung mitbrachte und wohnte mit ihr und den 4 Kindern in einer Wohnung. Und das seit fast 10 Jahren.

Und an diesem Sommertag saß er da und schaute mich fast flehentlich an.

"Meine Freundin hat geheiratet."

Ja, Mensch, meinen Glückwunsch. Das ist ja eine tolle Nachricht ... 

Die Worte blieben mir - glücklicherweise - im Halse stecken, bevor ich sie ausgesprochen hatte und ich wusste vor lauter Irritation gar nicht, ob ich ihn ansehen sollte. Es dauerte einige Sekunden, bis ich seine Worte so eingeordnet hatte, wie er sie ausgesprochen hatte. Er hat "meine Freundin" gesagt. Er hat nicht gesagt, "ich habe geheiratet" oder "wir haben geheiratet". Nein. Sie hat geheiratet. Sie. Hat.

"Ich habe mich schon gewundert, warum sie am Samstagnachmittag nicht zu Hause war und die Kinder auch nicht. Sie sind erst in der Nacht wiedergekommen."

Ich weigere mich innerlich noch, das Ausmaß dieser Geschichte in seiner Gänze zu erfassen. Und das auch, weil ich nicht weiß, ob ich schockiert sein werde oder lachend am Tisch zusammenbreche. Da ich keine Wahl habe, als mich mit seiner Erzählung auseinanderzusetzen, entscheide ich mich vorläufig für den Schockzustand. "Ach, herrje ... " Mehr kriege ich nicht raus.



Also mal ehrlich. Ungeachtet dessen, der gewissen Tragik einer gescheiterten Beziehung zu nahe treten zu wollen, frage ich mich, welche Frau mit einem Mann zusammenlebt, wenn sie eine derart feste Beziehung mit einem anderen Mann eingeht, den sie dann auch noch heiratet. Und noch viel schlimmer ist eigentlich: welcher bekloppte Idiot gibt sich damit zufrieden, dass seine künftige Braut und dann sogar Ehefrau mit ihrem bis dato Lebensgefährten in einer Wohnung wohnt und sogar in einem Zimmer und in einem Bett schläft? Wie bekloppt muss man eigentlich sein? Und was hat der Ehemann in der Hochzeitsnacht getan? Sich an der Minibar vergangen?

Der arme Tropf vor mir wusste auf keine dieser Fragen eine Antwort. Erst vier Wochen später zog sie aus.

Dienstag, 21. Januar 2014

Die Dampfmaschine

"Du stehst doch nicht etwa wegen dem Tennis so früh auf, oder?"

Ein halbwegs besorgter Blick streift mich. Kurz vor sechs. Um die Zeit kann man wohl kaum völlig besorgte Blicke erwarten.

Ich hocke seit knapp anderthalb Stunden in der Küche und ersäufe meine Schlaflosigkeit in Kaffee. Dürfte inzwischen der Dritte sein. An dem weiß-ich-wievielten-Tag.

Zugegebenermaßen schaue ich viel Sport. Leichtathletik, Schwimmen, Ski Alpin & Biathlon, Fußball, Handball und Volleyball. Tennis. Sogar Bowls, obwohl die "Sportler" da eher wie überpubertierende Intellektuelle mit zuviel Bauch aussehen und in ihren, dem Bowl nachlaufenden Bewegungen immer irgendwie spastisch wirken. Und so weiter und so fort. Alles - außer Wrestling - ist für mich Sport und damit sehenswert. Vermutlich so ein Psychologie-Ding, von dem ich keinen blassen Schimmer hab. Vielleicht hänge ich einem Traum vom Leben eines Spitzensportlers nach, das ich nicht haben konnte, weil ich nicht durfte. Weight watchers würde sagen, ich hänge dem Ideal nach ... Dämlacke ihr!

Ich schaue also Tennis. Während David Ferrer verkloppt wird, gieße ich mir Kaffee Nr. vier ein und schüttle energisch den Kopf. "Nee, ich konnte nur einfach nicht mehr einschlafen."

Standardspruch. Wird akzeptiert.

Während das Männel unter die Dusche verschwindet, greife ich zum Handy. Irgendwo hab ich neulich gehört, dass man am Tag zwischen 150 und 600 Mal sein Handy berührt. Das war der Beitrag zum Welt-Kuscheltag! Ich schaff das locker! E-Mails lesen, Fratzenbuch checken und das Plus im größten der großen Websuchdienste nach neuen Kontakten überprüfen (wieder keine Bestätigung - Gott, nee, lass es endlich du dummes Mädchen!) ...

Ich muss mich beschäftigen. Gerade morgens - in den vermeintlich ruhigen Stunden des Tages, bevor die Welt erwacht, da rattert mein Hirn wie die Dampfmaschine von Newcomen. Wehe, wenn ich wach werde! Einfach umdrehen und wieder einschlafen ist völlig aussichtslos. Sofort denke ich an Termine, Fristen, Gespräche und Schriftsätze. An Kollegen, Begegnungen, Netzwerke, Oberärzte, Vorsätze, Probleme und erhoffte Lösungen. Nichts denken ist so unwahrscheinlich wie Schnee im Juli (p.s.: es schneit übrigens gerade, aber es ist erkenntlich nicht Juli, sondern kalter Januar).

Und da schlafen unmöglich scheint, stehe ich eben auf. 

Nein, ich stehe nicht wegen dem Tennis auf. Ich stehe auf, weil mich meine tagtäglichen Probleme verfolgen. Weil mir vor allem die familiären Super-GAU's, die mir ständig am Beratungstisch gegenübersitzen und die ihre Streitigkeiten auf dem Rücken der (angeblich) unbeteiligten Kinder austragen, im Nacken sitzen. Ganz am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, waren die persönlichen Probleme noch weit weg. Da nahm man sich das nicht so zu Herzen. Ich war jung und teilweise unerfahren. In familienpsychologischer Hinsicht zumindest.

Und dann kam der Krümel. Der, der meine Sicht auf die Dinge völlig veränderte. Der, der mir in seiner Hilflosigkeit, seinem unbedingten Vertrauen auf meine ständige Hilfestellung zeigte, was Liebe bedeutet. Kindliche Liebe (nicht das jetzt gleich wieder Kritik kommt, dass man ja auch den Partner lieben sollte und das schon die Erfüllung sei, weil das Leben sonst so wertlos sei, du unglaublicher Besserwisser und Klugscheißer!)

Jetzt kann ich meine Fälle nicht mehr an der Bürotür abgeben. Ich nehme sie mit nach Hause. Das Krümelchen hat mich weichgespült und mürbe gemacht. Ich kann die Augen davor nicht mehr verschließen. Und - Sch... - seitdem bin ich echt nah am Wasser gebaut.

Darum kann ich nicht mehr einschlafen, wenn ich morgens vor dem Wecker wach werde.

Und bevor ich einen Kaffeeschock bekomme oder noch weiter darüber nachdenken muss, höre ich meinen kleinen Knuddelhasen durch das Phone: "Mama! Mama, ich bin wach!"

Ich komme, mein Schatz!


Freitag, 17. Januar 2014

(nicht ganz) sprachlos

Seine Blicke durchbohren mich ...

Um nicht gleich aus den Klamotten zu fahren, lehne ich mich zurück, nehme meinen Stift in die Hand und kritzle irgendwas auf meinen Block. Seine Worte hallen durch meinen Kopf, als ob da der gesamte Delta-Quadrant drin wäre. Ja, gut, ich weiß schon ... im Delta-Quadranten herrscht Vakuum, da ist nix mit hallen. Wurscht, 's klingt gut.

Okay, denk ich mir. Du hast da was falsch verstanden, sowas kann gar keiner sagen. Sowas kann keiner denken. So kann kein Vater sein. So kann niemand Erziehung sehen oder Liebe.

Boah, warum muss immer ich solche Mandanten abfassen? Warum bitte, kommt nicht eine ganz einfache, schnörkellose Scheidung mit ein bisschen Versorgungsausgleich und ein bisschen Theatralik, weil der blöde Ehemann mit der Arbeitskollegin durchgebrannt ist oder die frustrierte Ehefrau sich eine Internetliaison zugelegt hat und den Alten jetzt absägen will?

Nöööö, ich kriege die Pedanten, die Psychopathen und die Durchgeknallten. Die, die entweder notorisch beratungsresistent sind oder mit forentechnisch angelesenem Halbwissen der Meinung sind, einem die juristische Welt erklären zu können. Ganz super.

Also schön. Ich kritzle noch ein bisschen und überlege krampfhaft, was ich dazu sagen soll. Wenn ich das, was der mir da gerade ins Gesicht gerotzt hat, der Richterin in den nächsten Schriftsatz schreiben würde, brauch ich gar nicht erst in der nächsten Verhandlung aufkreuzen. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie missbilligend über ihre "Frau-Puppendoktor-Pille"-Brille schielt und mich in diesem lustigen norddeutsch auffordert, doch mal darüber nachzudenken, meinen Sorgerechtsantrag zurückzunehmen. Sie hätte recht, aber sowas von ... Kein Kind dieser Welt sollte bei DEM DA leben müssen. Niemandem sollte man das antun.

Aber ich bin Anwältin. Mein Job ist es, die Interessen vom Mandanten zu vertreten und für den das Gewollte rauszuholen. Ich bin Anwältin. Scheiße. Ich bin SEINE Anwältin. Wo fängt es an, die Interessen des Mandanten zu vertreten, wo bleibt mein Gewissen und wo hört die Kampfeslust und der Wille auf? Muss ich blindlings drauf los rennen und behaupten, dass es das Beste für das Kind sei, wenn ich ganz genau weiß, dass das nie der Fall sein kann. Dass das Kind vom Regen in die Traufe kommt?

Denk nach, Mädchen! Ich kann das nicht schreiben, dann ist die Sache gleich tot. Aber so geht das nicht. Das ist dein Job, eigene Neigungen und Vorstellungen haben da nix zu suchen.

Also: wie geht das Verfahren weiter? Ich schreibe, die Gegenseite schreibt. Die Richterin weiß nicht, wem sie glauben soll, also gibt es ein Erziehungsfähigkeitsgutachten für beide Eltern. Und wenn ich Glück habe, disqualifiziert sich dieser Psychopath selbst. Gesagt, getan. Eine seitenlanges Pamphlet über die guten Eigenschaften dieses wandelnden Gollums quäle ich mir aus den Rippen. Aus dem Zug falle ich mit extremen Bauchgrummeln und den Mandanten würde ich am liebsten noch im Gerichtssaal ignorieren. Nur die Richterin ist das schillernde Wesen, dass ich mir erhofft habe: sie gibt das Gutachten in Auftrag.

Und nur gute 3 Monate später lese ich in dem Gutachten genau den Satz, der mir am Anfang förmlich die Magengrube ausgehoben und mich mehr als viele andere Dinge an den Rand des Verständnisses für meinen Berufszweig gebracht hat.

"Nein, ich nehme meinen Sohn nicht in den Arm; ich will ja nicht, dass er ein warmer Bruder wird."

Alles wird besser.

Manchmal ist meine "Sprachlosigkeit" auch keine Sprachlosigkeit.

Sonntag, 5. Januar 2014

Cha Cha Cha und Kaffee

Ich starre auf den leeren Bildschirm und warte scheinbar, dass da Blumen drauf wachsen.

Los, Mensch, fange an. Du wolltest doch immer viele kluge Dinge von dir geben, wolltest Interessantes schreiben und dich an dem geistigen Dünnschiss auch noch laben. Und nun?

Nüscht!

Gedanken wirbeln durch meinen Kopf und verklumpen zu ungenießbaren Wortknäulen. Ich kriege keinen einzigen zu fassen und kralle mir entnervt mein Handy. Auch nix Neues. Keine Nachricht, keine Mail, kein noch so blöder Eintrag im Faselbuch. Gott nee, was ist los? Meiner Internet- und Kommunikationssucht folgend, wollte ich dieses Blog zusabbeln bis der Server streikt. Und jetzt fällt mir nichts ein.

Durch die Klumperei in meinem Hirn poltert plötzlich ein einzelner Gedanke. Kaffee.


Das muss helfen. Der reanimiert meinen Hirnklumpen und schaufelt ganz bestimmt die klügsten und witzigsten Ideen in mein verhunztes Hirn.

...

Eine gute Stunde später habe ich die Kaffeebohnen fast intravenös aufgesogen und starre nun mit Puls 180 und einem vermutlichen Blutdruck jenseits des Urals noch immer auf den Bildschirm. Vielleicht fangen ja imaginäre Buchstaben an zu tanzen, wenn ich nur noch genauer hinschaue. Ob die dann wohl Tango tanzen oder Walzer? Meinem Puls nach zu urteilen am ehesten Cha Cha Cha.

Unvermittelt steht mein Vierjähriger in der Tür, der anstatt mit seinem Papa Mittagsschlaf zu machen, quietschmunter ist und mir geradezu freudestrahlend mitteilt, dass der Beutel durch sei. Nach 10minütiger Kleberei liegt Sohnemann wieder im Bett, aus dem er vermutlich in spätestens 30 Minuten wie Phönix entsteigen wird, um seine müden Eltern zu bespielen. Also muss ich die kurze Ruhephase noch nutzen.

Und nun? Statt Buchstaben und Wörter in die Tastatur zu meißeln, gleiten meine Gedanken vollends ab: daran, dass ich nachher noch spazieren gehen muss. Bei dem Blick aus dem Fenster auf diese grauen Wolken vergeht mir das jetzt schon. Oder an den morgigen Arbeitstag, der der einzige in dieser Woche sein wird und daran, was ich alles morgen machen will und muss. Mist, ich sollte mir eine to-do-liste schreiben, sonst verbaddle ich doch den Großteil. Vor allem aber zur nächsten Woche, die so wichtig werden wird für uns. Allein schon die Reise nach Nürnberg. Was werden die Untersuchungen bringen? Wofür wird sich der Prof. entscheiden? Was wird das für das Leben meines Kindes bedeuten? Und für uns?

Ich schiebe das fast gewalttätig von mir. Schon die letzten Wochen habe ich darüber zu viel gegrübelt. Eigentlich mache ich seit 4 Jahren nichts anderes. Also nebenher noch ein bisschen arbeiten, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen und ein wenig leben. Aber am meisten grübeln.

Ich will doch schreiben! SCHREIBEN!

Und dann endlich geschieht es. Es erlöst mich förmlich von dieser Qual und befreit mich.

Das leise Bingen meines Handys. 

Donnerstag, 2. Januar 2014

Oh Gott, ich blogge!

Jetzt ist es passiert! Ich habe es getan! Nach wochenlangem Hin und Her und unzähligen Stunden des Nachdenkens habe ich es gewagt!

Ich gab mir einen Namen!

Also, einen Namen für den Blog versteht sich. Damit reihe ich mich nun ein in die unzählige Schar derer, die ihren geistigen Müll im Netz verbreiten und hoffen, dass sich in irgendeiner dunklen Spilunke einer findet, der das ansatzweise witzig findet. Oder zum Nachdenken. Oder einfach nur, um sich mit dem Finger an die Stirn zu tippen und weiterzuklicken. Mir egal.

ICH BLOGGE!