Freitag, 15. September 2017

Zu viel

Der Kopf hämmert, schweißgebadet friere ich, während ich Richtung Bad stolpere. Es ist kurz vor drei in der Nacht und seit 2 Stunden drehe und wälze ich mich mit rumorendem Magen und Hitze-Kälte-Attacken im Bett umher. Bis mir mein Magen mitteilt, dass er jetzt genug hat und alles abstößt, was er in seinen Untiefen so findet.

Einige Minuten später finde ich mich noch immer klitschnass, frierend und ziemlich schwächlich vor dem Klo kniend wieder und kotze die ganze Welt aus. So geht das in der Nacht noch ein paar Mal, auch wenn ich mir nicht sicher bin, was da überhaupt noch in meinem Magen ist oder ob der selbst noch da ist.

Trotzdem schleppe ich mich am Morgen zu einem Gerichtstermin, wobei ich während der Fahrt und der gesamten Verhandlung nur bete, dass ich nicht vor versammelter Mannschaft auf den Tisch kotze. Glücklich darüber, dass das allen Anwesenden erspart blieb, steige ich ins Auto und fahre heim. Schlafen.

Stunden später fühlt sich der Magen noch immer sturmgepeitscht an, hat aber zumindest seine vulkanische Tätigkeit eingestellt. Ich fühle mich schwach. Müde. Ausgelaugt. Und leer. Am nächsten Tag fahre ich zu einem wichtigen Auswärtstermin. Aus Angst, dass der Magen rebelliert, habe ich seit knapp 36 Stunden nichts gegessen, aber auch kaum was getrunken. Schlechte Idee, meint mein Kreislauf.

Trotzdem ziehe ich den Termin durch, fahre noch ins Büro für den weiteren wichtigen Kram, dann aber doch zum Arzt. Der faselt zunächst was von gereiztem Magen, was Falsches gegessen etc. pp.. Plötzlich schaut er mich über sein Nichts von Brille hinweg an und fragt: „Was sind Sie nochmal von Beruf? Anwalt? Selbstständig? Viel zu tun? Was machen Sie sonst noch so?“ „Ähm, ja. Neben dem Büro habe ich noch Familie, mache gerade eine Ausbildung zum Verfahrensbeistand, plane die alleinige Neugründung der Kanzlei, schreibe eine Seminararbeit, baue eine neue Webseite und versuche zu trainieren, weil ich demnächst einen Matschepampe-Lauf absolvieren will.“ „Aha.“ Nach ein paar weiteren detailreicheren Fragen - bei der Frage nach meinem Kind breche ich in Tränen aus - schüttelt er den Kopf und will mich für den gesamten nächsten Monat krankschreiben; verordnet Ruhe. Super Witz. „Sie haben zu viel Stress. Das schaffen Sie nicht, wenn Sie nicht lernen, sich Ruhepausen zu gönnen. Drehen Sie mal zurück. Keinen Sport und priorisieren Sie Projekte, sonst liegen Sie demnächst mit Burnout im Krankenhaus.“

Das saß. Ich bekam Angst.

Ich überlegte tatsächlich. Die Ausbildung zum Verfahrensbeistand nebst Seminararbeit um ein halbes Jahr verschoben, den Matschepampe-Lauf abgesagt.

Aber einige Sachen kann man nicht „absagen“. Die Kanzlei muss laufen; die Familie braucht auch ihren Platz und ich brauche meine Familie. Und die Kanzleigründung ist nun einmal fest terminiert. Wat mut, dat mut.

Etwas mehr als eine Woche später dachte ich, es geht mir besser. Ich hatte ein richtiges kleines Hoch, nachdem ein paar wichtige Entscheidungen getroffen worden waren. Und heute sitze ich hier. Der Kopf hämmert, der Magen rumort, der Kreislauf spinnt. Keine Kraft mehr. Der Doc schüttelt noch etwas mehr den Kopf und wird ernst.

Ich habe den Warnschuss wohl doch noch nicht gehört, habe nicht verstanden, dass Ignorieren nicht helfen kann, ein "Ich muss das tun, weil es wichtig ist und ich habe Fristen und Termine." letztlich dem Körper ziemlich schnurz ist, wenn er am Rande der Belastbarkeit leben muss. Die letzten Monate waren enorm anstrengend. "Psychischen Stress" nannte es der Kollege und ich solle mal allgemeines Erschöpfungssyndrom googeln. Sollte man nicht tun. Echt nicht.

Fakt ist, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll.

Ein: "bleib mal eine Woche zu Hause und erhol dich" kann nur jemand anbringen, der nicht selbstständig ist; der nicht weiß, dass sich die Arbeit noch ein bisschen mehr türmt, wenn man wieder da ist, weil sich eben niemand findet, der sie wegarbeitet. Sie bleibt wie ein Klotz da liegen. So wie ich jetzt auf meinem Sofa. Bevor ich wieder an meinen Schreibtisch gehe ...