Freitag, 21. Oktober 2016

Angst


„Ich glaube, ich möchte das Verfahren beenden.“

Augenblicklich begann alles in mir zu klirren. Die sprichwörtlichen Nackenhaare stellten sich mir auf und ich wollte ihr einfach nur sagen, dass dies ein riesengroßer Fehler wäre, der sich hier scheinbar anbahnt. Ich wollte ihr sagen, dass sie nur ihre Rechte wahrnimmt und sich und ihrem Kind das holt, was ihr zusteht. Wie will sie ihm später einmal erklären, dass sie zwar weiß, wer sein Vater ist, das aber nirgendwo jemals festgestellt wurde, weil …

„Ich habe Angst.“

Angst davor, dass dieses Vaterschaftsfeststellungsverfahren bei ihm Grenzen überschreitet, nach denen er nicht nur verbal droht. Sie um ihr eigenes Leben und das ihres kleinen, kaum 5 Monate alten Sohnes fürchten muss. Denkt sie. Es bringt sie um den Schlaft, raubt ihr alle Nerven und stellt ihr Leben vor Hürden, die sie scheinbar nicht bewältigen kann. Im Bewusstsein um die vergangene Beziehung mit dem festzustellenden Vater, seiner beiden Haftstrafen, seiner (angeblichen) soldatischen Ausbildung und wegen seiner schon früher an den Tag gelegten, offenbar feinstgeschliffenen psychopathischen Vorgehensweise bei ihr, wuchs die Angst und stieg der Druck in ihr bis heute so gravierend an, dass sie keinen Ausweg mehr sieht, als ihm jetzt auch noch diesen Triumpf zu geben. Schon im Bewusstsein darum, dass er meint, dass kein Gesetz für ihn gilt und er sich an keine der existierenden Regeln zu halten haben muss, führte dies zu zwei Gefängnisstrafen.

Dem Beschluss zur Entnahme seiner DNA im Feststellungsverfahren hat er keine Folge geleistet. Ich stellte Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes. Sie sagt, dass wir mit allem und jedem äußersten Mittel bei ihm ansetzen müssen, um etwas zu erreichen. Ich sage ihr, dass ich da schmerzfrei bin und es nicht besser wird, wenn wir das Verfahren jetzt wegwerfen. Die Tatsache der ungeklärten Vaterschaft bleibt, die potentielle Gefährdungslage für ihn (es könnte ja jederzeit ein neues Feststellungsverfahren eingeleitet werden) und für sie (sie und der kleine Sohn sind ja trotzdem da) verschwindet nicht. Im Gegenteil: mit der Rücknahme dieses Antrages erhielte er einen Trumpf in die Hand, dessen Folgen kaum abschätzbar wären. In seinen Augen hätte er auf ganzer Linie gewonnen und würde ihr dann das Leben erst recht zur Hölle machen, weil sie ihn - unberechtigt, wie er annehmen wird - vor Gericht geschleift hat. Meine Einwände kommen nicht durch … sie hat Angst und sieht keinen anderen Ausweg, als den Rückzug anzutreten.

Wie groß muss ein Leidensdruck sein, wenn man bereit ist, sich in seinem Leben so dermaßen einzuigeln und zu verstecken, wie sie es jetzt vorhat? Wie glaubt sie, sich und ihr Kind schützen zu können? Und was geht in solchen Männern vor?

Fragen … keine Antworten.

Ich weiß nicht, was ich tun kann, um ihr zu helfen. Ist der Wunsch, das Verfahren fortzuführen, tatsächlich der richtige Weg? Würde ich ihr damit vielleicht doch mehr schaden oder alles noch schlimmer machen? Ist Rückzug oder stoisches Festhalten am Verfahren besser? Ich weiß es nicht.