Dienstag, 21. Januar 2014

Die Dampfmaschine

"Du stehst doch nicht etwa wegen dem Tennis so früh auf, oder?"

Ein halbwegs besorgter Blick streift mich. Kurz vor sechs. Um die Zeit kann man wohl kaum völlig besorgte Blicke erwarten.

Ich hocke seit knapp anderthalb Stunden in der Küche und ersäufe meine Schlaflosigkeit in Kaffee. Dürfte inzwischen der Dritte sein. An dem weiß-ich-wievielten-Tag.

Zugegebenermaßen schaue ich viel Sport. Leichtathletik, Schwimmen, Ski Alpin & Biathlon, Fußball, Handball und Volleyball. Tennis. Sogar Bowls, obwohl die "Sportler" da eher wie überpubertierende Intellektuelle mit zuviel Bauch aussehen und in ihren, dem Bowl nachlaufenden Bewegungen immer irgendwie spastisch wirken. Und so weiter und so fort. Alles - außer Wrestling - ist für mich Sport und damit sehenswert. Vermutlich so ein Psychologie-Ding, von dem ich keinen blassen Schimmer hab. Vielleicht hänge ich einem Traum vom Leben eines Spitzensportlers nach, das ich nicht haben konnte, weil ich nicht durfte. Weight watchers würde sagen, ich hänge dem Ideal nach ... Dämlacke ihr!

Ich schaue also Tennis. Während David Ferrer verkloppt wird, gieße ich mir Kaffee Nr. vier ein und schüttle energisch den Kopf. "Nee, ich konnte nur einfach nicht mehr einschlafen."

Standardspruch. Wird akzeptiert.

Während das Männel unter die Dusche verschwindet, greife ich zum Handy. Irgendwo hab ich neulich gehört, dass man am Tag zwischen 150 und 600 Mal sein Handy berührt. Das war der Beitrag zum Welt-Kuscheltag! Ich schaff das locker! E-Mails lesen, Fratzenbuch checken und das Plus im größten der großen Websuchdienste nach neuen Kontakten überprüfen (wieder keine Bestätigung - Gott, nee, lass es endlich du dummes Mädchen!) ...

Ich muss mich beschäftigen. Gerade morgens - in den vermeintlich ruhigen Stunden des Tages, bevor die Welt erwacht, da rattert mein Hirn wie die Dampfmaschine von Newcomen. Wehe, wenn ich wach werde! Einfach umdrehen und wieder einschlafen ist völlig aussichtslos. Sofort denke ich an Termine, Fristen, Gespräche und Schriftsätze. An Kollegen, Begegnungen, Netzwerke, Oberärzte, Vorsätze, Probleme und erhoffte Lösungen. Nichts denken ist so unwahrscheinlich wie Schnee im Juli (p.s.: es schneit übrigens gerade, aber es ist erkenntlich nicht Juli, sondern kalter Januar).

Und da schlafen unmöglich scheint, stehe ich eben auf. 

Nein, ich stehe nicht wegen dem Tennis auf. Ich stehe auf, weil mich meine tagtäglichen Probleme verfolgen. Weil mir vor allem die familiären Super-GAU's, die mir ständig am Beratungstisch gegenübersitzen und die ihre Streitigkeiten auf dem Rücken der (angeblich) unbeteiligten Kinder austragen, im Nacken sitzen. Ganz am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, waren die persönlichen Probleme noch weit weg. Da nahm man sich das nicht so zu Herzen. Ich war jung und teilweise unerfahren. In familienpsychologischer Hinsicht zumindest.

Und dann kam der Krümel. Der, der meine Sicht auf die Dinge völlig veränderte. Der, der mir in seiner Hilflosigkeit, seinem unbedingten Vertrauen auf meine ständige Hilfestellung zeigte, was Liebe bedeutet. Kindliche Liebe (nicht das jetzt gleich wieder Kritik kommt, dass man ja auch den Partner lieben sollte und das schon die Erfüllung sei, weil das Leben sonst so wertlos sei, du unglaublicher Besserwisser und Klugscheißer!)

Jetzt kann ich meine Fälle nicht mehr an der Bürotür abgeben. Ich nehme sie mit nach Hause. Das Krümelchen hat mich weichgespült und mürbe gemacht. Ich kann die Augen davor nicht mehr verschließen. Und - Sch... - seitdem bin ich echt nah am Wasser gebaut.

Darum kann ich nicht mehr einschlafen, wenn ich morgens vor dem Wecker wach werde.

Und bevor ich einen Kaffeeschock bekomme oder noch weiter darüber nachdenken muss, höre ich meinen kleinen Knuddelhasen durch das Phone: "Mama! Mama, ich bin wach!"

Ich komme, mein Schatz!


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