Freitag, 17. Januar 2014

(nicht ganz) sprachlos

Seine Blicke durchbohren mich ...

Um nicht gleich aus den Klamotten zu fahren, lehne ich mich zurück, nehme meinen Stift in die Hand und kritzle irgendwas auf meinen Block. Seine Worte hallen durch meinen Kopf, als ob da der gesamte Delta-Quadrant drin wäre. Ja, gut, ich weiß schon ... im Delta-Quadranten herrscht Vakuum, da ist nix mit hallen. Wurscht, 's klingt gut.

Okay, denk ich mir. Du hast da was falsch verstanden, sowas kann gar keiner sagen. Sowas kann keiner denken. So kann kein Vater sein. So kann niemand Erziehung sehen oder Liebe.

Boah, warum muss immer ich solche Mandanten abfassen? Warum bitte, kommt nicht eine ganz einfache, schnörkellose Scheidung mit ein bisschen Versorgungsausgleich und ein bisschen Theatralik, weil der blöde Ehemann mit der Arbeitskollegin durchgebrannt ist oder die frustrierte Ehefrau sich eine Internetliaison zugelegt hat und den Alten jetzt absägen will?

Nöööö, ich kriege die Pedanten, die Psychopathen und die Durchgeknallten. Die, die entweder notorisch beratungsresistent sind oder mit forentechnisch angelesenem Halbwissen der Meinung sind, einem die juristische Welt erklären zu können. Ganz super.

Also schön. Ich kritzle noch ein bisschen und überlege krampfhaft, was ich dazu sagen soll. Wenn ich das, was der mir da gerade ins Gesicht gerotzt hat, der Richterin in den nächsten Schriftsatz schreiben würde, brauch ich gar nicht erst in der nächsten Verhandlung aufkreuzen. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie missbilligend über ihre "Frau-Puppendoktor-Pille"-Brille schielt und mich in diesem lustigen norddeutsch auffordert, doch mal darüber nachzudenken, meinen Sorgerechtsantrag zurückzunehmen. Sie hätte recht, aber sowas von ... Kein Kind dieser Welt sollte bei DEM DA leben müssen. Niemandem sollte man das antun.

Aber ich bin Anwältin. Mein Job ist es, die Interessen vom Mandanten zu vertreten und für den das Gewollte rauszuholen. Ich bin Anwältin. Scheiße. Ich bin SEINE Anwältin. Wo fängt es an, die Interessen des Mandanten zu vertreten, wo bleibt mein Gewissen und wo hört die Kampfeslust und der Wille auf? Muss ich blindlings drauf los rennen und behaupten, dass es das Beste für das Kind sei, wenn ich ganz genau weiß, dass das nie der Fall sein kann. Dass das Kind vom Regen in die Traufe kommt?

Denk nach, Mädchen! Ich kann das nicht schreiben, dann ist die Sache gleich tot. Aber so geht das nicht. Das ist dein Job, eigene Neigungen und Vorstellungen haben da nix zu suchen.

Also: wie geht das Verfahren weiter? Ich schreibe, die Gegenseite schreibt. Die Richterin weiß nicht, wem sie glauben soll, also gibt es ein Erziehungsfähigkeitsgutachten für beide Eltern. Und wenn ich Glück habe, disqualifiziert sich dieser Psychopath selbst. Gesagt, getan. Eine seitenlanges Pamphlet über die guten Eigenschaften dieses wandelnden Gollums quäle ich mir aus den Rippen. Aus dem Zug falle ich mit extremen Bauchgrummeln und den Mandanten würde ich am liebsten noch im Gerichtssaal ignorieren. Nur die Richterin ist das schillernde Wesen, dass ich mir erhofft habe: sie gibt das Gutachten in Auftrag.

Und nur gute 3 Monate später lese ich in dem Gutachten genau den Satz, der mir am Anfang förmlich die Magengrube ausgehoben und mich mehr als viele andere Dinge an den Rand des Verständnisses für meinen Berufszweig gebracht hat.

"Nein, ich nehme meinen Sohn nicht in den Arm; ich will ja nicht, dass er ein warmer Bruder wird."

Alles wird besser.

Manchmal ist meine "Sprachlosigkeit" auch keine Sprachlosigkeit.

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