Sonntag, 2. Februar 2014

Voodoo

"Ich habe da was gelesen."

Also ehrlich! Es gibt Sätze, da könnte jeder Anwalt zum Meuchelmörder werden. Und: "Ich hab da was gelesen", kommt unmittelbar nach dem Telefonanrufbeginn eines völlig Unbekannten: "Ich hab mal 'ne Frage."


Und dabei war dieser Mandant mir ursprünglich nicht unsympathisch. Leider hat mich mein erster Eindruck getäuscht. Nach etlichen Berufsjahren kann ich eigentlich Ärger und anstehende Aktenbearbeitungsfrustration förmlich riechen, wenn der Neu-Mandant zur Erstberatung an der Kanzleitür an mir vorbeischwebt. Vor heute hat das nur einmal nicht funktioniert, aber das ist ein anderer Blog.


Hier nicht. 


Vermutlich ließ ich mich von diesem unschuldig-traurigen Blick und dem zurückhaltenden Wesen irritieren. Oder davon, dass der sich eine Frau aus dem Urlaub mitgebracht hat (einem Urlaub, wo man lange, sehr lange im Flieger sitzt), diese noch dort heiratete, sie mitbrachte, gleich ein Kind kam und sie sich - in Gewissheit seines enormen Einkommens - nach anderthalb Jahren Ehe ins Frauenhaus absetzte und horrende Unterhaltsforderungen ausrief. Kluges Mädchen. Gehörnter Ehegatte. Ich hatte Mitleid nach so viel fraulicher Popo-Haue.


Das änderte sich in der zweiten Besprechung.


"Ich habe da was gelesen."


"Aha." Und schlagartig wird mir klar, wie verhängnisvoll die nächsten anderthalb Stunden werden. Und wie anstrengend. Ich weiß genau, dass ich die nächste Frage nicht stellen will und lieber wegrennen sollte. Aber das geht grad schlecht. "Was haben Sie denn gelesen?"


"Ich habe ein wenig im Internet recherchiert (*DA war es wieder*) und gelesen, dass der Trennungsunterhalt wegen der kurzen Ehe auch ausgeschlossen werden kann." Ah, er entpuppt sich als kleinkarierter Geizkragen, der einer Ausländerin erstmal ein Kind anbaut und sie dann im Frauenhaus versickern lassen möchte.


"Nein, tut mir leid. Die Vorschrift des § 1579 Nr. 1 BGB ist nicht auf § 1361 BGB anwendbar. Steht da im Absatz 3." "Was ist mit denn mit den anderen Nummern?" Wir gehen eine dreiviertel Stunde jede Einzelne der sieben weiteren Nummern durch. Ich stöhne innerlich vor so viel Pedanterie.


"Und außerdem bekommt sie Betreuungsgeld, das muss doch als Einkommen angerechnet werden." "Betreuungsgeld? Was meinen Sie mit Betreuungsgeld? Elterngeld, Landes- oder Bundeserziehungsgeld oder DAS Betreuungsgeld?"


"Ich meine das Betreuungsgeld, dass es seit dem 01.08.2013 gibt, wenn man sein Kind nicht in die Einrichtung gibt, sondern zu Hause bleibt. Sie sollten sich dahingehend unter Umständen weiterbilden." Langsam bekommt er Ähnlichkeit mit dem Johnny aus dem Johnny-Cab von Total recall.


"Das brauche ich nicht. Ich habe nur gefragt, weil manche Mandanten die Begrifflichkeiten verwechseln und Kindergeld für Kindesunterhalt, Erziehungsgeld für Betreuungsgeld und Betreuungsgeld für Betreuungsunterhalt halten. Ich wollte nur sichergehen, dass wir von demselben reden. Eine Weiterbildung brauche ich dafür nicht. Aber danke für den Hinweis." Ich kotze gleich und strecke meine imaginäre Hand nach seinem Hals aus.


"Und bezüglich der Krankenkassenkosten gibt es komplett unterschiedliche Auffassungen von Ihnen und der Gegenseite und ich möchte auch hier die Gesetzeslage mit Ihnen durchgehen." Meine imaginäre Hand schließt sich fester um seinen blassen Hals. Eine weitere halbe Stunde vergeht.


Und dann kommt der persönliche Tiefschlag. "Mir wäre wichtig, dass Sie sich bei der Kommunikation mit der Gegenseite auf einen formal hinreichenden Stil reduzieren. Der kollegiale Kram trägt nichts zur Sache bei. Bitte nur Fakten." Und das, wo ich immer so stolz auf (die meisten) Schriftsätze bin, die weder Schlammschlachten schlagend, noch emotional-triefend sind. Außer in Umgangs- und Sorgerechtssachen, zugegebenermaßen.


"Das mache ich doch immer. Was soll ich denn anders machen?"


"Sie sind doch der Anwalt." 


Ich überlege, welche Materialien ich auf die Schnelle in meinem Büro finde, aus denen sich eine Voodoo-Puppe nach gegenübersitzendem Vorbild bauen ließe, in die ich dann meine riesige Büroschere, genüsslich wie Jim seine Finger im Apple-pie, versenken kann.





Und gleichzeitig hoffte ich, dass der Typ da vor mir kein Betazoid ist.


Während er noch vor sich hin grummelnd meine Unterhaltsberechnung wie eine bittere Pille runterschluckt, erstelle ich vor meinem geistigen Auge die Gebührenrechnung und was ich mir davon schickes kaufen werde. Der Tag wird besser.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen