Samstag, 8. Februar 2014

Trauriger Äppelwoi

Ich hasse diese Küchenuhr. Nicht nur, weil sie eine dieser vorsintflutlichen, hässlich-roten Dinger ist, die ständig stehen bleibt und immer kurz vor der Entsorgung völlig penetrant weiterläuft oder weil sie noch penetranter laut tickend die Stille der Küche durchbricht.

Nein, ich hasse sie, weil sie – sofern sie mal geht – einfach so Scheiße ehrlich ist.

„Mama, wie spät ist es?“ würde mein Vierjähriger jetzt fragen. „Schau mal mein Schatz. Der große Zeiger da, der Minutenzeiger ist auf dem Weg von einer vollen Stunde zur anderen, also von der Zwölf zur Zwölf eine halbe Runde rum und steht auf der Sechs. Und der Kleine, der Minutenzeiger ist von der Zwei auf dem Weg zur Drei. Wie spät ist es?“ Er würde jetzt den Finger steil aufrichten, um die Luft anzupieksen, würde die Augen weit aufreißen und mit äußerst wichtiger Miene sagen: „Mama, es ist acht Uhr!“

„Ja, mein Schatz.“ Widerstand ist zwecklos.

Aber er fragt jetzt nicht. Er liegt ganz still in seinem Bettchen und schläft. Den Schlaf der Gerechten, den Schlaf der Kinder, die sich noch um nichts Gedanken machen müssen. Den Schlaf, den man schlafen darf und sollte.

Mein Schlaf hat sich vorläufig erledigt. Die Dampfmaschine nimmt Fahrt auf, denn die Ereignisse des Tages haben ihre Spuren auf dem Keilriemen hinterlassen.

Fühle ich mich verraten? Nein, verraten nicht. Oder? 

Allein gelassen? Irgendwie schon. Ohne auch nur die geringste Schuldzuweisung geben zu können. Oder zu wollen. Oder zu dürfen.

Habe ich etwa Angst mein Vertrauen zu verlieren? Hoffentlich nicht!

Mit dem Vertrauen ist das nämlich so eine Sache. Bei mir. Unsere schnelllebige Zeit ist geprägt von Annehmen und Wegwerfen. Nicht nur zermatschte McDonalds-Verpackungen, die ruckzuck über den Ladentisch gehen, deren Inhalt mindestens genauso schnell und gierig in des Käufers Magen verschwindet und die dann achtlos auf die Straße geschmissen werden. Oder die neueste Lieblings-Bluse, die nach 5 Wochen nicht mehr mit dem Hintern angeschaut wird; auch wenn man sich selbige mitnichten über den Hintern zieht. Alles ist austauschbar, alles Neue ist besser als das Vorherige. In Lichtgeschwindigkeit werden Wohnungen, Städte, Freunde und Ehepartner ausgetauscht. Angeschafft und abgeschossen.

Bis zu einem bestimmten Punkt geht einiges. Vieles vielleicht. Nicht so beim Vertrauen. Vertrauen ist etwas, was ich nicht so leicht aufbaue. Zu viele Enttäuschungen, zu viele Verletzungen, zu viele Arschtritte von vermeintlich Vertrauten. Vertrauen ist das Kryptonit meines Lebens.

Ich habe Bekannte und Freunde. Sicherlich lässt es sich nicht vermeiden, dass diese kommen und gehen. Einige kommen, um zu bleiben. Ohne, dass sie anfangen wie Fisch zu stinken. Andere schaffen es nicht mal über die erste Base. Aber selbst im Freundeskreis existieren nur sehr wenige, denen ich vertraue. Genau gesagt: zwei.

Zwei, denen ich bedingungslos vertraue. Die mehr von mir wissen, als ich wahrscheinlich von mir selber. Und diese beiden sind mehr wert, als eine ganze Horde von „Freunden“, die keinen blassen Schimmer von meinen Ängsten und Sorgen haben. Und es vermutlich auch nicht haben wollen. Und was bringt mir bitte so ein beklopptes oberflächliches Gefasel über die Falschheit unserer Politik und Arbeitslosigkeit, Stress und was weiß ich, wenn ich denen nicht mal ansatzweise sagen kann, dass ich mich beschissen fühle. Nichts. Darum brauch ich das auch nicht. Nur diese beiden.

Und dann gibt es einen Dritten. Kein Freund - irgendwie. Eher ein Bekannter. Aber ein Vertrauter. Einer, der sich mein Vertrauen in den letzten Jahren Stück für Stück erworben hat. Mit schonungsloser Ehrlichkeit, aber auch mit trockenem Humor und viel Reden. Und dem Gefühl, dass es ihm in weiten Teilen wichtig ist. Ich weiß noch, dass ich bei unserer ersten Begegnung dachte 'Oh, Gott. Wat für ein Schnösel.' Er kam damals um die Ecke geclogt und fuhr sich mit einer Hand durch das strohblonde Haar. Ein Scheinender – so sah es aus. Das da viel mehr drin steckte, merkte ich erst im Laufe der Zeit. Heute mag ich mir bestimmte Dinge ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er hat mir Sicherheit und Halt gegeben. Und das in einer Sache, die mich im tiefsten Innern bewegt und für mich das Wichtigste in meinem Leben ist. Einer Angelegenheit, in der mir oft Unterstützung und Reden fehlte. Helfendes Reden. Insider-Reden.

Und das soll jetzt wegbrechen? Soll einfach – zunächst rein räumlich – nicht mehr da sein? Es wird nicht mehr das Gleiche sein, wird sich verändern. Und ich habe Angst, dann irgendwann ohne diesen Dritten zu sein. Vielmehr ohne das Vertrauen. Weil einfach die Entfernung für eine Entfremdung sorgen könnte. Natürlich haben wir in dieser Entscheidung – weder positiv, noch negativ – eine Rolle gespielt. Dazu sind wir für das private Leben einfach nur unwichtig. Aber es fühlt sich in negativer Hinsicht irgendwie so an. Und das, obwohl diese Entscheidung ganz sicher gut und richtig ist. Vermutlich hätte ich sie in rein objektiver Hinsicht auch getroffen. Vielleicht schon viel eher. 

Das ändert aber für mich nichts. Das Gefühl der Leere, der Enttäuschung und des Verlierens bleibt. Who the fuck is Frankfurt??? Da gibt es doch nur Äppelwoi. Traurigen Äppelwoi.

Und während die Küchenuhr enervierend vor sich hin tickt, hämmere ich auf die Tasten meines Schläpptopps ein. Und verarbeite. Aber die Nachtstunden sind gut, um die Gedanken zu ordnen. Und, um zu schreiben.

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